Journal Sonntag, 2. Februar 2025 – Fahle Isarauen, schräge Web-Entwicklung

Gut und lang geschlafen – die 7-Uhr-Kirchenglocken hörte ich zwar, schlief aber weiter. Beim Aufstehen sah ich einen Falken vom Haus weg in den Park fliegen, bei einem weiteren Blick aus dem Fenster saß er kurz vorm Wohnzimmer auf der Straßenlaterne. Für den Tag waren graue Düsternis und Kälte angekündigt, dennoch freute ich mich auf […]

Feb 3, 2025 - 16:46
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Journal Sonntag, 2. Februar 2025 – Fahle Isarauen, schräge Web-Entwicklung

Gut und lang geschlafen – die 7-Uhr-Kirchenglocken hörte ich zwar, schlief aber weiter.

Beim Aufstehen sah ich einen Falken vom Haus weg in den Park fliegen, bei einem weiteren Blick aus dem Fenster saß er kurz vorm Wohnzimmer auf der Straßenlaterne.

Für den Tag waren graue Düsternis und Kälte angekündigt, dennoch freute ich mich auf meinen Isarlauf. Ich trat ihn nach Bloggen und Wäscheaufhängen noch später als sonst an, stellte ohnehin über den Tag hinweg fest, dass so langes Schlafen den Tag spürbar verkürzt.

Tram zur Paradiesstraße kurz vor Tucherpark, Lauf nach Norden durch die Isarauen des Englischen Gartens.

Dicht bedeckter Himmel und Winterkahlheit führten zu fahl entsättigten Farben, ich lief fast blicklos in mich gekehrt und ließ meine Gedanken fließen, verarbeitete die vorhergehenden Tage. Ohne Foto-Stopps kam ich in meinen eindreiviertel Stunden weiter als schon lang nicht mehr hinter Unterföhring.

Flusslandschaft mut hohen hellbraunen Gräsern im Vordergrund, kahlen Bäumen, Kiesbänken im Wasser

Flussbett mit wenig Wasser und großen Steinen, auf diesem Ufer kahle Bäume, am gegenüberliegenden ein Zwiebel-Kirchturm

Der Körper spielte problemlos mit. Die Schmerzfreiheit in Waden und Kreuz führe ich auf die neuen Laufschuhe zurück, wunderte mich dennoch (durchaus erfreut), dass ich die derzeitige LWS-/Hüftbefindlichkeit hier nicht spürte.

Städtische Altbaustraße mit Zeitungskästen, rechts eine Ladenfront mit der Schrift "Schuhwerk Lehel"

Graues Februar-Lehel.

Zurück daheim kochte ich erstmal Frühstück: Ich wollte nach der Kälte draußen warmen Porridge. Dann erst Duschen, damit der Brei auf Esswärme abkühlen konnte.

Aufsicht auf eine weiße Schüssel, darin Joghurt, Orangenmarmelade, darunter sieht man einen Ausschnitt Haferbrei, neben der Schüssel ein roter Apfel

Frühstück um halb drei also Porridge mit Joghurt und Orangenmarmelade, dazu ein Apfel.

Internet- und Zeitunglesen. Fürs Abendessen war ich zuständig: Rinderbeinscheiben nach Kaltmamsell-Familienart. Da es sich um ein Schmorgericht handelte, fielen die ersten Handgriffe bereits um halb fünf an, dazwischen hatte ich außerdem die Gelben Bete aus Ernteanteil gekocht, die ich jetzt zu Salat verarbeitete.

In der Schmorphase war Zeit für Yoga-Gymnastik: eine kurze, sportliche Folge. Und schon war der Tag rum, Herr Kaltmamsell rührte uns Manhattans als Aperitif.

Die Beinscheiben gerieten wohl, für die Sauce wendete ich die Methode Zerstören-statt-Binden an – und stellte überrascht fest, dass Herr Kaltmamsell sie nicht kannte. Der neue Zerstörer erreicht ein besonders sämiges Resultat.

Längs-Sicht auf gedeckten Tisch für zwei Persinen, von vorne offener Topf mit Schneckennudeln, weiter Schmortopf mit Glasdecken, daneben zwei Glasteller auf grünen Sets mit Fleisch, Sauce, Nudeln, dahinter Weinglas mit Rotwein, Rotweinflasche, Pfeffermühle, geschlossener Laptop, Bücherstapel

Bitte beachten Sie die Nudeln im Vordergrund: Das ist die einzig zulässige Form als Beilage zu diesem Gericht, weil daheim bei Mutter so gewohnt (die das wahrscheinlich deutlich weniger eng sieht) – heutzutage gar nicht so einfach zu finden.

Im Glas der restliche Lemberger-Merlot vom Freitagabend, echtes Sonntagsessen. Nachtisch Schokolade.

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Mama-Blogs gibt es ungefähr so lang, wie es Bloggen gibt – klar, wer über ihr Leben blogt, deckt damit auch Mutterschaft ab. Doch das nahm irgendwann eine eher gruslige Entwicklung, als die Eigenfamilien-Berichterstatttung auf YouTube Reality TV wurde mit Kindern vor der Kamera, die sich das nicht wirklich ausgesucht hatten. Der Guardian interviewt eine dieser Töchter, die heute 21 ist und deren Mutter in den USA mittlerweile wegen Kindesmisshandlung verurteilt eine Haftstrafe absitzt: Hinter der Vorbildwelt auf YouTube hatte blanke Gewalt gesteckt.1 Wobei diese christlichistisch geprägte Sonderform der Familienbelehrung sicher spezifisch US-amerikanisch ist.

“‘The nice version of her was manufactured for YouTube’: my mum, the family vlogger who became a child abuser”.

Mal wieder wird mir bewusst, welch komplett anderer Planet mein Internet war und ist.
Das prägende Erlebnis war die Blogmich 2005, also nach den ersten Jahren des Mitmach-Webs. Wir Blogger*innen standen komplett star struck umeinander herum: Das waren die Leute, die wir im Internet lasen – IN ECHT! Mein Eindruck war: Jeder und jede hielt alle anderen für Berühmtheiten. Was wir selbst ins Internet schrieben, war ja bloß…
Sehen Sie sich nur mal meinen damaligen Blogpost über das Treffen an!
Es war eine Online-Welt auf Augenhöhe. Beleg: Nicht wenige Blogger*innen kamen betont nicht, weil sie diese anderen Leute im Web, die sich offensichtlich für so wichtig hielten, doof fanden. (Und das natürlich in ihr Blog schrieben.)

Schon bald gab es Leute, die mit dem Ins-Internet-Schreiben Geld verdienten und sich nach meinem Gefühl von dieser Blogger*innen-Generation lösten. Immer mehr Menschen hatten Zugang zum Web, doch die wenigsten hatten das Bedürfnis, es für eigene Inhalte zu nutzen – die Gruppe der reinen Leser*innen/Gucker*innen wurde immer größer. Ich beobachtete die Ära der YouTube-Stars, geriet in Berlin mal versehentlich in eine Veranstaltung, auf der Fans ihre YouTube-Idole persönlich treffen konnten – hier war das star struck längst einseitig geworden. Und viel später gab es “Influencer*innen” die mit dieser Einseitigkeit ihren Lebensunterhalt bestritten, Unternehmen darauf gründeten und immer noch gründen. Jetzt war die Trennung Star-Fan endgültig abgeschlossen.

§

Die CSU wirbt Wahl (wahlwirbt?) in Oberbayern mit dem Slogan „Zeit, dass sich was ändert“ – das sollte niemanden wundern, denn das ist schon immer das Selbstbild der (seit 70 Jahren an der bayerischen Landesregierung befindlichen) CSU, siehe “Der Revolutionär” von Gerhard Polt, hier eine Aufnahme von 1987.

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https://www.youtube.com/watch?v=lQjxmbf2bsE

  1. Was um Himmels Willen nicht umgekehrt bedeutet, wieder mal zur Sicherheit, dass alle Mütter, die ihre Kinder auf YouTube für sich arbeiten lassen, sie schlagen und hungern lassen!