Psychologie: Introvertiert zu sein hat offenbar einen Nachteil – so gehst du damit um
Introvertierte Menschen erfahren im Alltag weniger stimmungsaufhellende Einflüsse als extrovertiertere, legt eine neue Studie nahe. Was genau die Forschenden untersucht haben und was wir mit den Ergebnissen anfangen können.
Introvertierte Menschen erfahren im Alltag weniger stimmungsaufhellende Einflüsse als extrovertiertere, legt eine neue Studie nahe. Was genau die Forschenden untersucht haben und was wir mit den Ergebnissen anfangen können.
Das Leben stellt uns immer wieder vor Herausforderungen und führt uns in Krisen. Finanzielle Sorgen. Gesundheitliche Probleme. Berufliche Veränderungen. Beziehungskonflikte. Ganz zu schweigen von Umweltkatastrophen, gesellschaftspolitischen Entwicklungen und steigendem Meeresspiegel. Auf der anderen Seite bietet es uns Sinn, Freuden und Genussmomente. Genug, damit wir die genannten Strapazen bewältigen können und wollen.
Laut Stressforschung müssen die positiven, energiespendenden Aspekte nicht einmal immer großartig und außergewöhnlich sein, um einen maßgeblich positiven Effekt für uns zu haben: Alltagsmomente wie eine liebe Nachricht von einem Freund oder ein netter Austausch an der Supermarktkasse können uns schon erheblich aufrichten und unsere Kraftreserven auffüllen. Wie viel uns negative Erfahrungen kosten und wie empfänglich wir für Stimmungsaufheller sind, unterscheidet sich allerdings von Mensch zu Mensch. Es hängt etwa von unseren Glaubenssätzen ab, unseren Bewältigungsstrategien, unserer Lebenserfahrung und unserer Persönlichkeit. So scheinen zum Beispiel laut einer im "Journal of Personality" veröffentlichten Studie sehr introvertierte Menschen tendenziell weniger von Moodboostern im Alltag zu profitieren als extrovertiertere.
Studie: Extrovertiertere Menschen erleben offenbar mehr Wohlfühlmomente im Alltag
Für besagte Studie hat ein Forschungsteam der Pennsylvania State University 242 Menschen gewinnen können, die zwei Wochen lang fünfmal täglich ihre Stressmomente ("hassles") und kraftspendenden Erlebnisse ("uplifts") notierten und bewerteten. Die Proband:innen waren im Schnitt 46 Jahre alt. Zu Beginn der Untersuchung hatten alle Teilnehmenden Standardfragebögen ausgefüllt, anhand derer die Forschenden einstufen konnten, wie introvertiert beziehungsweise extrovertiert die Testpersonen waren und ob sie Symptome von Depressionen, Ängsten oder Neurotizismus aufwiesen. Wie schwerwiegend die Versuchsteilnehmenden ihre jeweiligen "hassles" und "uplifts" empfanden, bewerteten sie mit einem Punktesystem.
Generell machten Stressmomente im Alltag der Proband:innen rund 41 Prozent ihrer aufgelisteten Erfahrungen aus und Wohlfühlerlebnisse ungefähr die Hälfte. Womit bestätigt wäre: Beides gehört offenbar zum Leben dazu.
Im Hinblick auf "uplifts" stellten die Forschenden bei der Datenauswertung fest, dass besonders introvertierte Testpersonen sowohl weniger aufbauende Erfahrungen notierten als auch die positive Wirkung dieser Erfahrungen als weniger intensiv erlebten als Proband:innen, die durchschnittlich introvertiert oder extrovertiert waren. Bei den "hassles" ergab sich hingegen kein bemerkenswerter Unterschied.
Introvertierte können genauso gut und glücklich leben wie Extrovertierte
Die Studienverantwortlichen vermuten aufgrund der Ergebnisse, dass ausgesprochen introvertierten Personen einige der Freuden und Energieimpulse entgehen könnten, die extrovertiertere Menschen ohne Weiteres aus sozialen Interaktionen beziehen. Eine Frage wie "wollen wir später noch etwas trinken gehen?" wird beispielsweise bei Extrovertierten meist Glücksgefühle auslösen, während sie Introvertierte gelegentlich vor die Herausforderung stellen mag, Nein zu sagen. Wer wiederum weniger "uplifts" im Alltag erlebt, so die Hypothese der Forschenden, könnte größere Schwierigkeiten erfahren, mit den Krisen und Konflikten des Lebens umzugehen.
Auf der anderen Seite verfügen introvertierte Personen meist über Qualitäten und Fähigkeiten, die bei extrovertierten Menschen weniger stark hervortreten. Zum Beispiel sind sie oft aufmerksamer, finden sich besser zurecht, wenn sie auf sich allein gestellt sind, verfügen über eine hohe Kreativität. Und manche Situationen, die extrovertierte Personen als sehr problematisch erleben, lassen introvertierte völlig kalt: Wegen einer Erkältung eine Party zu verpassen beispielsweise oder nicht im Mittelpunkt zu stehen.
Egal ob introvertiert oder extrovertiert, als Menschen sind wir alle soziale Wesen und als solche brauchen wir Gesellschaft, Liebe, Wertschätzung, Bestätigung und Unterstützung. Wie viel und in welcher Form, können und müssen wir selbst für uns herausfinden: Indem wir uns selbst kennen, akzeptieren und verständnisvoll behandeln lernen. Für Introvertierte mag das im sozialen Miteinander mit einem höheren Einsatz und Aufwand verbunden sein und damit, dass sie ihre Komfortzone manchmal verlassen und ihre Grenzen überschreiten müssen. Doch letztlich müssen Extrovertierte das auch – wenngleich vielleicht in anderer Weise und in anderen Lebensbereichen.