Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Diese Redewendung haben Sie sicher schon zigmal gehört. Wenn es um Manieren geht, zum Beispiel. Oder um faule Mitarbeiter. Oder darum, dass Erwachsene keine Empathie lernen können, wenn sie das als Kinder nicht schon getan haben.
Dabei ist wissenschaftlich längst etwas anderes erwiesen. Die Psychologin und Neurowissenschaftlerin Grit Hein von der Universität Würzburg erklärt, wie Erwachsene Empathie erlernen und wie Sie sich dieses Wissen für Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zunutze machen können. Denn: Empathische Führungskräfte und Teammitglieder tragen der Psychologin zufolge maßgeblich zu einem harmonischen und wachstumsorientierten Arbeitsklima bei.
Kann man als Erwachsener Empathie lernen?
In einer gemeinsamen Studie mit Kolleginnen und Kollegen aus China und der Schweiz zeigte Hein, dass Menschen auch im Erwachsenenalter Empathie lernen können.
Wie bei Kindern passiert dies durch positive Vorbilder: Menschen erleben empathisches Verhalten bei anderen und sind in der Lage, diese Verhaltensweise zu übernehmen. So überträgt sich Empathie unabhängig vom Alter von einer Person auf eine andere. Das funktioniert auch in der Arbeitswelt. „Wir konnten im Rahmen unserer Studie zeigen, dass sich Empathie verstärkt, wenn empathisches Verhalten beobachtet wird. Das heißt, dass man durch ein empathisches Arbeitsumfeld die Empathie unter Angestellten, Kollegen und im Team erhöhen kann“, erklärt die Neurowissenschaftlerin.
Dabei kommt es nicht nur zu einer bloßen Nachahmung von empathischem Verhalten, sondern zu einem messbaren Lerneffekt. Dieser ließ sich mithilfe von mathematischen Lernmodellen darstellen. MRT-Untersuchungen der Probandinnen und Probanden zeigten zudem, dass das Lernen oder Verlernen von Empathie etwas in ihrem Gehirn verändert: die neuronale Reaktion auf den Schmerz anderer Personen (Genaueres zur Studie ganz unten im Text).
Auch nicht-empathisches Verhalten ist übertragbar
Empathie lernen im Erwachsenenalter ist dabei aber nur eine Seite der Medaille. „Leider funktioniert die Übertragung auch umgekehrt: Empathie vermindert sich, wenn nicht-empathisches Verhalten beobachtet wird“, sagt Hein. „Ein nicht-empathisches Arbeitsklima unterdrückt Empathie und letztlich auch Kooperation und Austausch am Arbeitsplatz.“
Nicht-empathisches Verhalten am Arbeitsplatz zeigt sich unter anderem durch:
das Abwerten der Leistungen anderer
persönliche statt konstruktiver Kritik
das Bloßstellen von Mitarbeitenden
aggressive Kommunikation (laut werden, auf den Tisch hauen, im Konflikt den Raum verlassen, etc.)
Mobbing
Wie zeigt sich Empathie? Machen Sie es vor
Wenn es Ihnen als Chef oder Chefin gelingt, Ihr Team empathisch zu führen, wird sich dieses Verhalten unter Ihren Mitarbeitenden verstärken – sie lernen Empathie quasi nebenbei.
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Ein Beispiel: Einer Ihrer Mitarbeiter fällt regemäßig durch strategische Inkompetenz auf und reicht ungewollte Aufgaben an Kollegen weiter – mit der Behauptung, die anderen könnten das besser. Eine empathische Reaktion auf dieses Verhalten wäre, ein Gespräch unter vier Augen mit Ihrem Mitarbeiter zu suchen. Statt ihm dabei Inkompetenz oder Faulheit zu unterstellen, fragen Sie ihn, wie er die Situation wahrnimmt und welche Lösungsvorschläge er hat.
Landen tatsächlich vermehrt unliebsame Aufgaben bei ihm, können Sie das gesamte Team einbinden. Sprechen Sie in offener Runde an, wer welche Aufgaben übernehmen möchte – ohne dies einzuleiten mit „Mitarbeiter XY will das ja nicht machen, also…“. Auf diese Weise hat Ihr Mitarbeiter nicht das Gefühl, zu einem bestimmten Verhalten oder zu bestimmten Aufgaben gezwungen zu werden, während Ihr Team sich einbezogen fühlt.
Empathie lernen: Diese Übung hilft Ihrem Team
Um den Blick für empathisches und nicht-empathisches Handeln im gesamtem Team zu schärfen, rät Grit Hein zu einem Ritual, das leicht umsetzbar ist: regelmäßige „Highs & Lows“-Meetings. In diesen Sitzungen besprechen Sie – beispielsweise einmal in der Woche oder im Monat – mit Ihren Kolleginnen und Kollegen die positiven und negativen Erlebnisse und Vorkommnisse der vergangenen Tage. „So werden Emotionen geteilt und es entsteht eine Atmosphäre, in der über Probleme gesprochen und zusammen Lösungen gefunden werden“, unterstreicht Hein die Vorteile.
Um zu verhindern, dass nicht-empathische Kollegen Negativakzente setzen, sollten diese Meetings moderiert werden. Entweder Sie als Vorgesetzter tun das selbst, oder Sie lassen es eine Mitarbeiterin mit hoher Empathie tun. Hilfreich sind zudem klare Kommunikationsregeln, wie aussprechen lassen und gezielte Ich-Botschaften, die Sie vorab gemeinsam mit Ihrem Team besprechen und festlegen.
Ist zu viel Empathie schädlich?
Empathie ist laut Hein zwar ein wichtiger Faktor für ein gesundes Arbeitsklima – es bestehen allerdings auch Risiken.
„Das empathische Teilen der negativen Gefühle anderer kann Stress auslösen“, erklärt die Psychologin und Neurowissenschaftlerin. Unter Umständen wird so sogar ein Burn-out begünstigt. „Selbstfürsorge ist hier wichtig. Die Kunst ist, empathisch mit anderen zu sein, ohne sich selbst dabei zu vergessen.“
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Eine wichtige Gegenmaßnahme ist, die eigenen Grenzen und Emotionen deutlich erkennbar zu machen. Ein zentraler Satz dazu wäre: „Mich belastet diese Situation und ich möchte, dass wir gemeinsam eine Lösung finden.“
Fehlendes Mitgefühl im Team sollte zunächst als Herausforderung und schließlich als Möglichkeit zur Entwicklung gesehen werden – denn Empathie lernen können alle, von der Chefin bis zum Praktikanten.
Studie macht Empathie lernen sichtbar
Im Rahmen der Studie nutzten die Wissenschaftlerinnen mathematische Modelle, so genanntes Computational Modeling, um empathische Reaktionen zu erfassen und sie mithilfe von funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) plastisch im erwachsenen Hirn abzubilden.Dazu wurden den Studienteilnehmern Videos von Händen gezeigt, die eine schmerzhafte Stimulation erhalten. Danach gaben die Probanden auf einer Empathie-Rating-Skala an, wie sie sich beim Anschauen der Videos gefühlt hatten. In einem dritten Schritt sahen die Teilnehmenden die empathischen oder nicht-empathischen Reaktionen anderer Teilnehmer auf die gleichen Videos. Final wurden ihnen neue Videos gezeigt von Händen, die eine schmerzhafte Stimulation erhalten, und die Probanden mussten ein erneutes Empathie-Rating abgeben. Das Ergebnis war eindeutig: Bei jenen Teilnehmern, die eine empathische Reaktion eines anderen Teilnehmers gesehen hatten, stiegen die Empathie-Ratings. Wer eine nicht-empathische Reaktion gesehen hatte, wies selbst weniger Empathie in den Abschluss-Ratings auf.Zudem änderte sich die neuronale Reaktion auf den Schmerz der im Video gezeigten Person: Die fMRT zeigte Veränderungen in der anterioren Insel, einer Hirnregion, die bei der Verarbeitung von Empathie eine Rolle spielt. Die Wissenschaftlerinnen konnten somit abbilden, dass ein tatsächliches Lernen und nicht nur eine Nachahmung stattgefunden hat.Die Erkenntnisse der Studie erschienen im Januar 2024 im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) unter dem Originaltitel „The social transmission of empathy relies on observational reinforcement learning„, zu Deutsch „Die soziale Übertragung von Empathie beruht auf Lernen durch Beobachten und Verstärken“.
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