Vor 100 Jahren: Ein Bild und seine Geschichte: Als eine Sonnenfinsternis New York zum Stillstand brachte
Am 24. Januar 1925 verdunkelte der Mond die Sonne über New York – und Millionen Menschen blickten kollektiv in den Himmel. Die totale Sonnenfinsternis führte zum Ausnahmezustand
Am 24. Januar 1925 verdunkelte der Mond die Sonne über New York – und Millionen Menschen blickten kollektiv in den Himmel. Die totale Sonnenfinsternis führte zum Ausnahmezustand
Ehrfürchtig blicken die Menschen in New York gen Himmel. Millionen Schaulustige haben sich versammelt, drängen sich in Parks, auf Hochhausdächer, Plätze. Durch getönte Brillen, Kamerafilme und rußgeschwärzte Glasscherben beobachten sie an diesem Morgen des 24. Januar 1925 die Sensation: eine totale Sonnenfinsternis, die erste in dieser Gegend seit dem Jahr 1478.
Bereits Tage zuvor hat der Hype um das seltene Himmelsereignis begonnen. Wissenschaftler versuchten genau vorherzusagen, welche Straßen sich verdunkeln werden, Zeitungen listeten die besten Aussichtsplätze auf, Sonderzüge transportierten Schaulustige quer durch die Stadt.
Dann, um 9.11 Uhr, verdunkelt der Mond die Sonne – und New York steht (fast) still. Der Kernschatten liegt genau über Manhattan. Manche Zuschauer spenden Beifall, andere witzeln über das Ende der Welt oder fragen, ob nun Moses erscheinen werde. Autofahrer stoppen auf den Straßen, die Händler an der Wall Street beginnen ihr Geschäft später, wer kann, unterbricht seine Arbeit. Lehrkräfte geleiten ihre Schulklassen nach draußen, verlegen den Unterricht ins Freie. Nicht alle haben an Brillen gedacht, manche improvisieren kurzfristig: In Queens etwa, so berichtet die "New York Times", zerschlagen Bauarbeiter Wasserflaschen, halten die Scherben über ein Feuer – und können so doch noch in den Himmel schauen.
"Die Sonne mag sich verfinstern. Aber New York – niemals!"
Über der Stadt zirkeln Flugzeuge, Piloten führen astronomische Messungen durch und übertragen ihre Beobachtungen per Radio. So sehr zieht das Spektakel die Menschen in ihren Bann, dass fast niemand auf die Idee kommt, zu telefonieren: Die New Yorker Telefongesellschaft meldet später, dass zehn Minuten lang kein einziger Anruf in ihren Büros einging.
Wie gigantische "graue Geister", erscheinen die Wolkenkratzer im Halbdunkel, schreibt ein Reporter der "Times". "Keine Sprache wird jemals ausreichen, um die erhabene Schönheit dieses Phänomens zu beschreiben", meint der Astronom Willem Jacob Luyten. Ein anderer Kommentator erklärt: "Die Sonne mag sich verfinstern. Aber New York – niemals!"
Um zehn Uhr schließlich ist der Spuk vorbei – und die Sonne wieder zu sehen. Knapp eine Stunde lang einte das Ereignis fast alle Einwohnerinnen und Einwohner von New York.
Bis zur nächsten totalen Sonnenfinsternis muss sich die Stadt noch gedulden: Erst im Jahr 2079 steht wieder eine an. In Deutschland sogar erst 2081, bei einer partiellen Finsternis am 12. August 2026 soll die Sonne aber immerhin zu 90 Prozent bedeckt sein.