Fredericka Mandelbaum: Die Deutsche, die sich in New York zur "Königin der Gauner" aufschwang
Im Jahr 1850 wanderte Fredericka Mandelbaum von Kassel nach New York aus – und wurde dort eine der berüchtigsten Figuren der Unterwelt. Die Polizei war machtlos – und käuflich
![Fredericka Mandelbaum: Die Deutsche, die sich in New York zur "Königin der Gauner" aufschwang](https://image.geo.de/35410926/t/B2/v5/w1440/r1.7778/-/mandelbaum-g-530847812.jpg?#)
Im Jahr 1850 wanderte Fredericka Mandelbaum von Kassel nach New York aus – und wurde dort eine der berüchtigsten Figuren der Unterwelt. Die Polizei war machtlos – und käuflich
Am 22. Juli 1884 bricht das Imperium der Fredericka Mandelbaum zusammen. Detektive stürmen ihr Textilgeschäft in New York, dringen in die Hinterzimmer ein – und konfiszieren sämtliche Kostbarkeiten: Die Armreifen und Ketten im Safe, das Tafelsilber, die goldenen Uhren und Diamanten genauso wie antike Möbel und Truhen, gefüllt mit feinster Seide und kostbarem Kaschmir.
Gut 20 Jahre lang hatte Mandelbaum über eines der berüchtigtsten Verbrechersyndikate der USA geherrscht, als Drahtzieherin von Raubzügen unermesslichen Reichtum angehäuft. Nun aber scheint sie, die "Königin der Gauner", wie Zeitungen sie nennen, am Ende. Oder doch nicht? Die Frau, die aus dem Nichts kam und sich zu einer der führenden Unterweltgestalten New Yorks aufschwang, denkt gar nicht daran, sich von einer Verhaftung aufhalten zu lassen.
Fredericka Mandelbaum: erst Hausiererin, dann Hehlerin
Es war die Hoffnung auf ein besseres Leben, die Fredericka Mandelbaum, 1825 in Kassel in eine jüdische Familie hineingeboren, als junge Frau nach New York führte, gemeinsam mit ihrem Mann. Durch die Auswanderung entkam das Paar zwar der Wirtschaftskrise in der Heimat, doch New York, in weiten Teilen ein Moloch, bot zunächst auch kaum bessere Verhältnisse. Die Mandelbaums kamen in einer der schäbigen Mietskasernen unter, in denen es nicht einmal fließend Wasser gab. Ein paar Jahre lang gingen sie als Hausierer von Tür zu Tür, verkauften Spitze und andere Waren. Weit kamen sie damit jedoch nicht.
Und so erweiterte Fredericka Mandelbaum ihr Geschäftsmodell: Sie ging dazu über, auch erbeutete Waren von Taschendieben und Kleinkriminellen zu verkaufen – als Hehlerin. Dadurch machte sie weit mehr Profit, konnte schließlich einen eigenen Laden eröffnen. Dort verkaufte sie gestohlene Luxusgüter aller Art, von Schmuck über Seide bis hin zu Zigarren und Taschen aus Seehundfell.
Raubzüge durch Geschäfte, Lagerräume und Privathäuser
Dabei konnte sie sich auf einen getreuen Stamm an Dieben und Kleinkriminellen verlassen, die sie ihre "chicks" nannte, "Küken". Die Ganoven raubten im Auftrag "Mother Baums" Geschäfte, Lagerräume und Häuser wohlhabender Menschen aus. "Mandelbaum bezahlte dem Dieb normalerweise zehn bis 25 Prozent des Großhandelspreises. Vom Käufer verlangte sie dann die Hälfte oder zwei Drittel besagten Preises", beschreibt die Autorin Margalit Fox in ihrer Mandelbaum-Biografie (siehe unten). Ein lohnendes Geschäft: Ihren "Küken" bot "Mother Baum" eine dauerhafte Beschäftigung – zudem zahlte sie die Kaution, sollte einer ihrer Auftraggeber von der Polizei geschnappt werden.
In ihrem Geschäftshaus richtete Mandelbaum ein Atelier ein, in dem Handwerker den gestohlenen Schmuck so bearbeiteten, dass dessen Herkunft nicht mehr kenntlich war. Sie brachen etwa Edelsteine aus ihren Fassungen und schliffen Gravuren aus Uhren. Ihr Mann dagegen hielt sich bei den Geschäften im Hintergrund. Er starb 1875.
In immer größerem Stil orchestrierte "Mother Baum" Beutezüge: 1876 brachen zwei ihrer Handlanger in ein Lagerhaus eines Textilhandelsunternehmens ein – und stahlen auf einen Schlag Seide im Wert von 30.000 Dollar. Selbst bei Bankeinbrüchen mischte Mandelbaum mit, streckte etwa Geld für das Werkzeug von Safeknackern vor. Als "Kern und Mittelpunkt des organisierten Verbrechens in New York" bezeichnete die "New York Times" Mandelbaum einmal.
Gleichzeitig gerierte sie sich – wahrhaft eine Erscheinung mit gut 1,80 Meter Körpergröße, angeblich 130 Kilogramm auf der Waage und stets mit juwelenbesteckten Ringen, Ketten, Broschen und Armreifen behangen – in ihrer Nachbarschaft als großzügige, ehrbare Wohltäterin. Sie ging regelmäßig in die Synagoge, unterstützte die Gemeinde, war zudem eine vierfache Mutter.
Legendäre Dinnerpartys bei "Mother Baum"
Die Polizei schien machtlos. "Um einen Hehler zu belangen, musste ein Staatsanwalt nicht nur beweisen, dass der Hehler Diebesgut erhalten hatte, sondern auch, dass er wusste, dass es sich um heiße Ware handelte", beschreibt Margalit Fox. Ohnehin bestach Mandelbaum zahlreiche Polizisten mit Schmiergeldern – und gewährte ihnen großzügige Rabatte in ihrem Geschäft. Legendär waren "Mother Baums" Dinnerpartys, bei denen Politiker, Wachtmeister und Dezernatsleiter auf der Gästeliste standen. Widget Buch
Mandelbaums Machenschaften florierten – bis zu jenem 22. Juli 1884, als Detektive mit einem Durchsuchungsbefehl vor ihrer Tür standen. Sie gehörten zum berüchtigten privaten Sicherheitsdienst Pinkerton, den die New Yorker Bezirksstaatsanwaltschaft angesichts der Unfähigkeit der regulären Polizei eingeschaltet hatte. Monatelang observierten Pinkerton-Agenten Mandelbaums Geschäft, schleusten dann auch noch einen V-Mann in die Verbrecherorganisation ein – und überführten "Mother Mandelbaum" schlussendlich.
Trotz erdrückender Beweislast verweigerte Mandelbaum standhaft jegliches Schuldbekenntnis. Sie kam auf Kaution vorläufig frei – und trickste die Pinkerton-Detektive, die sie überwachen sollten, unmittelbar vor dem Prozessauftakt aus: Mandelbaum engagierte ein Double, das die Agenten auf eine falsche Fährte lockte, während sie selbst mit einer Kutsche und samt Taschen voller Schmuck, Juwelen und Klumpen aus geschmolzenem Gold aus New York flüchtete.
Per Zug gelangte die Hehlerin schließlich über die kanadische Grenze nach Hamilton südlich von Toronto – und lebte dort unbehelligt weiter. Ein offizielles Auslieferungsabkommen zwischen den USA und Kanada gab es damals nicht.
1894 starb Mandelbaum an den Folgen einer Nierenentzündung. Ihr Tod sorgte in den USA und Kanada für reichlich Schlagzeilen: "Königin der Gauner: Mother Mandelbaum, die berühmte Hehlerin, ist tot", schrieb die "New York World". Und weiter: "Einbrecher, Wegelagerer, Diebe, Taschendiebe, alle brachten ihre Beute zu ihr."