Die Russen kommen … und greifen deutsche Autos an – das weiß der Spiegel „offenbar“
Jetzt ist es doch so weit: Sie kommen! Wer? Die Russen. Und sie greifen des Deutschen liebstes Kinde an: das Auto. Das weiß zumindest der Spiegel – also: „offenbar“, wie das Magazin es formuliert. Unter der Überschrift „Deutschlandweite Sabotageserie offenbar von Russland gesteuert“ schreibt das Hamburger Blatt ein glorreiches Stück „Journalismus-Geschichte“ – offenbar. Deshalb:Weiterlesen
Jetzt ist es doch so weit: Sie kommen! Wer? Die Russen. Und sie greifen des Deutschen liebstes Kinde an: das Auto. Das weiß zumindest der Spiegel – also: „offenbar“, wie das Magazin es formuliert. Unter der Überschrift „Deutschlandweite Sabotageserie offenbar von Russland gesteuert“ schreibt das Hamburger Blatt ein glorreiches Stück „Journalismus-Geschichte“ – offenbar. Deshalb: Ein Hoch auf das weltbeste Nachrichtenmagazin der Welt – ja, zwei Mal das Wort „Welt“ ist schlechter Stil, was jetzt aber auch egal ist. Ein glossenhaft angehaucht launiger Kommentar von Marcus Klöckner.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Der Spiegel – „sagen, was ist.“ Das war das Motto von Spiegel-Gründer Rudolf Augstein. „Sagen, was ist“ – diese Aussage hängt in großen Buchstaben an der Wand im Innern des Spiegel-Gebäudes. „Sagen, was ist“ – dafür will das Nachrichtenmagazin noch immer stehen. Und das tut es auch – wie kein anderes Medium in Deutschland. Schonungslos hat der Spiegel unter Kreativ-Reporter Relotius gesagt, was ist. Und auch wenn nicht alles zu hundert Prozent korrekt war: Trotzdem war alles korrekt. Das ergibt zwar keinen Sinn, aber: Das muss es ja auch nicht. Wichtig ist das grundlegende Prinzip, nämlich: Qualitätsjournalismus kann durch nichts ersetzt werden – nur durch noch mehr Qualitätsjournalismus. Das wissen die Blattmacher, und deshalb geht die Entwicklungskurve in Hamburg steil nach oben.
So auch am Mittwoch um 10:30 Uhr. Auf der Internetseite des Nachrichtenmagazins findet sich als Aufmacher ein Artikel unter der Überschrift: „Deutschlandweite Sabotageserie offenbar von Russland gesteuert“.
So geht Qualitätsjournalismus. In einer Zeit, in der Propagandisten NATO und Russland gegeneinander aufhetzen und die Angst vor den Russen schüren, stützt sich das Magazin auf die reinen Fakten. Keine Spekulation, kein Stochern im Nebel. Und gewiss keine Manipulation und Propaganda, sondern in alter Tradition des Hauses: Sagen, was ist – also „offenbar“.
Bravo! Jetzt weiß die Republik endlich, was es zu tun gilt: Acht geben auf die Autos. Schnell die Kisten rein in die Garagen, denn: Die Russen kommen! Gut, in der Spiegelgeschichte sind die „Russen“ eigentlich „drei junge Männer mit Ausweispapieren aus Serbien, Bosnien-Herzegowina und Deutschland“ – das ist aber jetzt auch egal. Wichtig ist: Der Kreml steckt hinter den Angriffen auf Autos in Deutschland. Also offenbar. Wohl. Vermutlich. Bestimmt. Fast sicher. Könnte sein. Wahrscheinlich.
Richtig, der aufmerksame Leser erkennt sofort: Das sind Formulierungen, die auf maximale Faktensicherheit hinweisen. Und so „informiert“ der Spiegel Zeile um Zeile. Die Leserschaft erfährt: Der Kreml zielt nicht nur auf irgendwelche Autos in Deutschland. Nein, nein. Beschädigt werden nur Fahrzeuge „vorzugsweise deutschen Fabrikats“, schreiben die Top-Journalisten. Das muss der Beweis sein, nein: Das ist der Beweis! für das, was Sicherheitsexperten seit Langem vorsingen: Deutschland steht im Visier Russlands! Deshalb: Kriegstüchtigkeit – ja! Und bitte Verteidigungsausgaben auf zehn Prozent erhöhen. Schließlich gilt es nun, Farbe (gerne grün) zu bekennen:
Die „Russen“, also das heißt diese Typen mit den Papieren aus anderen Ländern, haben eine der modernsten Waffensysteme Welt gegen Deutschland eingesetzt. Die Saboteure haben Autos lahmgelegt, indem sie mit der heimtückischen Waffe Bauschaum den Auspuff der Fahrzeuge verstopft haben. Gut, früher haben Kinder Kartoffeln oder Murmeln in den Auspuff vom Fahrzeug des Nachbarn gesteckt – das waren noch Zeiten! Aber Bauschaum? Der Feind, der im Osten sitzt, muss wirklich hinterhältig sein. Da ist sie: die hybride Kriegsführung! Aus diesem Grund: Grünes Licht für US-amerikanische, nuklear bestückbare Mittelstreckenraketen auf dem eigenen Grundstück neben Gartenzwerg Kuno.
Der Spiegel-Artikel ist von der ersten bis zur letzten Zeile ein Meisterwerk des Investigativjournalismus. In lobenswerter Transparenz teilt die Redaktion ihren Lesern mit, worauf sich die präsentierten Informationen stützen.
„Die Spur der Saboteure führt“, so heißt es, „nach SPIEGEL-Informationen nicht zu militanten Klimaaktivisten – sondern nach Moskau. Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden soll die Sabotageserie in Wahrheit auf das Konto russischer Auftraggeber gehen.“
Wer diese Zeilen liest, erkennt schnell: Hier sind die Goldstandards der journalistischen Informationsgewinnung gesetzt. „Nach SPIEGEL-Informationen“ – das ist der Gipfel des Seriösen.
Die Tage hat der Spiegel übrigens ein weiteres Glanzstück veröffentlicht, das in hoher Kunst des redaktionellen Handwerks im Nachgang durch eine „Anmerkung der Redaktion“ erweitert wurde. Die Redaktion hat sich erlaubt – wie soll man es sagen? – die ohnehin sehr hohe Qualität der Spiegel-Beiträge durch noch mehr Qualität zu steigern. Die Publizistin Birgit Kelle ist über den Artikel gestolpert und merkte auf der Plattform X an: „Die Korrekturmeldungen sind beim @derspiegel bald länger als der eigentliche Artikel.“
Und ja: Die Anmerkungen der Redaktion unter dem Artikel sind tatsächlich: lang! Nur: Der Begriff „Korrekturen“ ist hässlich. Es geht um gelebte Qualitätsmanagementeffizienz. Jawoll. Und unter diesem positiven Grundklima kann sich Journalismus immer weiter entfalten. Dann ist auch Raum vorhanden, um über – im rein publizistischen Interesse – russische Umtriebe in Deutschland zu berichten. Da jedes anständige Medium in Deutschland weiß: Auf den darf sich blind verlassen werden, folgt, was folgen muss: FAZ, Deutsche Welle, Tagesschau, Süddeutsche Zeitung und, wie aus Google News ersichtlich, viele, viele weitere Medien berichten über das „Investigativstück“.
Jetzt fehlt nur noch eins: die Politik! Aber da ist sie auch schon. Die Bundesvorsitzende der Grünen meldet sich zu Wort: „Putin Sabotage. Angebliche grüne Protestaktion. Dahinter stecken keine Grüne, sondern Putin. Uns spalten und einen Keil in die demokratische Mitte der Gesellschaft treiben: Das ist Putins Ziel. Tun wir uns selbst einen Gefallen und fallen nicht drauf rein“, so Franziska Brantner auf X.
Aus „offenbar“ ist die Realität geworden. So viele Medien können nicht irren, und der Spiegel erst recht nicht. Wie gut, dass es keine Integrity Initiative, keine Propagandaoperationen und Ähnliches von westlicher Seite zur Stimmungsmache in Deutschland gegen Russland gegeben hat, gibt oder geben wird. Wie gut, dass in Deutschland grundsätzlich nur eine Seite (böse) Propaganda betreibt: nämlich der Kreml.
Ein Hoch auf den Spiegel – das weltbeste Magazin der Welt, wo der Feind erkannt, die Demokratie verteidigt, der Frieden beschworen und der Hass bekämpft werden.
Unter der Überschrift „Deutschlandweite Sabotageserie offenbar von Russland gesteuert“ warnt das Magazin die Republik vor der russischen Gefahr, die uns alle bedroht, also „offenbar“. Eine – „offenbar“ – aus Moskau gesteuerte Gruppe soll Anschläge auf Autos verübt haben. Also hauptsächlich auf Autos deutscher Hersteller – in Berlin.
Wenn es doch tatsächlich so ist, dass hinter einer „deutschlandweiten Sabotageserie“ der Kreml steckt, dann müssen die Bürger informiert werden. Und das tut der Spiegel. Gut, die Redaktion schiebt das Wörtchen „offenbar“ in die Überschrift, aber das ist jetzt nicht so wichtig.
Bevor überhaupt weitergelesen wird, weiß jetzt schon jeder: Mit einem Artikel dieser Art beschützt ein Magazin die gesamte Republik (nachdem zuvor die Redaktion wollte, dass die gesamte Republik mit dem Finger auf die Ungeimpften zeigen möge – aber lass).
Echter Journalismus durchbricht immer wieder Höhengrenzen. Im Dienste der Sache. Im Dienste der Demokratie. Objektivität. 110 Prozent: Das macht den echten Qualitätsjournalismus unserer Zeit aus. Voreingenommenheit? Fehlende Objektivität? Journalistische Objektivitätsnormen, die den eigenen politischen Überzeugungen untergeordnet werden? Sich gemein machen mit der Politik im Parlament? Den Schwachen in den Rücken fallen und den Starken bei Fuß stehen? Das ist etwas für den Gossenjournalismus. Beim Spiegel herrscht Qualität vor. Das weiß jeder. Erinnert sei an die heldenhaften Worte, die die Redaktion in der Coronakrise veröffentlichte: „Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen“, schallte es aus einer Spiegel-Kolumne in Richtung Ungeimpfte. Das war ein neues Leistungshoch im Journalismus der Republik! Eine ganze Gruppe von Bürgern und Mitmenschen, die öffentlich beschämt werden soll? Auch das – Qualitätsjournalismus vom Feinsten. In der Sache zu hundertprozentig richtig. Wie längst jeder weiß: Impfnebenwirkungen gibt es bis heute keine. Und wenn Politiker zu einem klitzekleinen körperlichen Eingriff drängen, dann wissen anständige Qualitätsmedien, was sich journalistisch gehört. Sie stehen zu den Schwachen – also den Politikern.
Sachlich, nüchtern, journalistisch – im Prinzip war es das trotzdem. Sagen, was ist – das hat das Magazin auch unter in der Corona-Zeit unter Beweis gestellt.
Die reine Wahrheit und nichts als die reine Wahrheit: Mit dieser neusten Geschichte hat der Spiegel nun endgültig den Bock abgeschossen!
Hinweis: Das Titelbild ist ein fiktives Symbolbild, hergestellt mit künstlicher Intelligenz (Grok)
Titelbild: Symbolbild/Grok