Stürzen UX-Design und UX-Research in die Bedeutungslosigkeit?

Es vergeht aktuell kaum eine Woche, in der mir nicht ein:e UXler:in schreibt oder per LinkedIn postet, dass er oder sie eine neue […]

Feb 3, 2025 - 00:30
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Stürzen UX-Design und UX-Research in die Bedeutungslosigkeit?

Es vergeht aktuell kaum eine Woche, in der mir nicht ein:e UXler:in schreibt oder per LinkedIn postet, dass er oder sie eine neue Herausforderung sucht. Ich höre von Modehändlern, die ihre gesamte UX-Research-Abteilung entlassen. Ich lese von Automobilzulieferern, die glauben, zukünftig weder UX-Designer:innen noch UX-Researcher:innen zu brauchen. Ich erlebe Unternehmen, die ihre Investitionen in UX hinterfragen und zurückfahren oder zumindest einen Einstellungsstopp verhängen. Ich spreche mit UX-Agenturen und höre, wie schlecht die Auftragslage derzeit ist. UX-Freelancer kämpfen ebenfalls mit schlechter Auftragslage und damit, dass plötzlich mehr Diskussion über die Preise für ihre Arbeit entstehen. Und, ich rede mit UXler:innen und spüre einen immensen Druck sowie eine große Unsicherheit.

Was ist los in dieser Welt? Zeit, dem mal auf den Grund zu gehen und Mutmaßungen darüber anzustellen, was gerade passiert und was das für uns UXler:innen bedeuten kann.

Du willst nur mal schnell in den Artikel reinschnuppern?

In diesem Video habe ich Dir die wesentlichen Kernbotschaften kurz zusammengefasst.

Was verändert sich aktuell?

In der letzten Dekade lief es für viele UXler:innen unglaublich gut. UX-Design, UX-Research, Journey Management und andere UX-Disziplinen haben stetig an Bedeutung gewonnen und sind in vielen Unternehmen kontinuierlich gewachsen. Der Wirtschaft ging es trotz oder gerade wegen der Corona-Krise erstaunlich gut. Es war vergleichsweise einfach, in vielen Unternehmen für Investitionen in UX zu werben oder das Management dazu zu überzeugen. Eigentlich schade, dass solche rosigen Zeiten nicht von Dauer sind. Aber die Wirtschaft bewegt sich nun mal in Pendelbewegungen bzw. Zyklen. Mal geht es in die eine, mal in die andere Richtung. 

Durch die vielen gleichzeitigen Krisen und Veränderungen in der Welt schlägt das Pendel gerade von Wachstum auf Konsolidierung um. Der Druck auf und die Unsicherheit bei Manager:innen wachsen. 

“Unter Druck tun Manager:innen nur das, woran sie wirklich glauben.”

Das Handelsblatt beschreibt die aktuelle Krise in Deutschland als eine Mischung aus technologischer Transformation, Schwäche des Wirtschaftsstandorts Deutschland, hohe Kapitalkosten und antiquierten Organisationsstrukturen bzw. unternehmensinterner Bürokratie. Das klingt schon nach einer sehr ungesunden Mischung.

Auf der Working Products 2024 habe ich dann Christoph Hassler zuhören dürfen, der einen tiefgründigen Blick auf die aktuelle Situation geworfen hat. Sein Vortrag hat mich nachhaltig beeindruckt. Er leitete aus der aktuellen Situation über die Konzepte von “Omnikrise” und “zyklischer Wirtschaftsentwicklung” einen Epochenwechsel ab. Vielen Dank dafür, Christoph.

Das Konzept der Omnikrise stammt aus der Feder des Zukunftsforschers Matthias Horx. Er versteht darunter die aktuellen Krisen zu 

  • Globalisierung (z.B. Putins Krieg, Chinas Machtanspruch), 
  • Demokratie (z.B. Triumph der Autokraten, Populismus), 
  • Gesundheit (z.B. Sinken der Lebenserwartung, Zivilisationskrankheiten), 
  • Wohlstand (z.B. Gesättigte Märkte, Sinn-Entleerung), 
  • Klima (z.B. Extremwetter, Klimaleugnung), 
  • Kognition (z.B. Verschwörungswahn) und 
  • Metatechnik (z.B. KI-Monster)

Folgt man der Theorie zur zyklischen Wirtschaftsentwicklung des Wirtschaftswissenschaftlers Nikolai Kondratjew, dann könnte es sich gerade nicht nur um eine Konjunkturdelle, sondern um einen Epochenwechsel handeln. Wir könnten am Übergang von der Epoche “Informationstechnologie (Computer, Smartphones, IoT), Digitalisierung und BigData” zur Epoche “Künstliche Intelligenz, Autonome Systeme, Bio-Technologie und erneuerbaren Energien” stehen. Solche Epochenwechsel wurden meist von grundlegenden technischen Transformationen ausgelöst und zogen große Veränderungen nach sich.

Unabhängig davon, ob das jetzt nun ein Epochenwechsel oder einfach nur eine Konjunkturdelle ist – in Phasen mit enormen Veränderungen denken Unternehmen in erster Linie kurzfristig.

Viele Manager:innen stehen vor der herausfordernden Aufgabe, ihre Unternehmen erfolgreich durch das tosende Fahrwasser zu bewegen und Schlimmeres zu verhindern. Da ist es nur natürlich, dass sie sich auf die Dinge konzentrieren, die aus ihrer Sicht dafür unbedingt notwendig sind und die sie direkt beeinflussen können. Das sind vor allem Themen mit direktem Einfluss auf Kosten oder Umsatz. Themen, die sich nicht unmittelbar auf einen der beiden Faktoren auswirken, wie z.B. Kundenzufriedenheit oder Mitarbeiterzufriedenheit, oder auch Werte, die einem schnellen Handeln im Wege stehen, werden zurückgestellt.

Neben der praktischen Notwendigkeit eines solchen Handelns aus der Sicht des Managements steckt darin auch eine Aussage über den Wert von Themen aus Sicht des Unternehmens. Vereinfacht kann man sagen, dass die Themen, die jetzt zurückgestellt oder beschnitten werden, aus Sicht der Manager:innen eine zu niedrige Bedeutung für die Überlebensfähigkeit und den Erfolg des Unternehmens haben. Davon sind übrigens nicht nur UX-Themen betroffen. Das zeigt sich auch bei dem wichtigen Thema “Klimawandel”. In der Presse kann man gerade zuschauen, wie eine zunehmende Anzahl von Unternehmen ihre Klimaziele kürzen oder in der Prioritätenliste nach hinten schieben. 

“In der Krise zeigt sich, was für ein Unternehmen wirklich wichtig ist.”

In der digitalen Produktentwicklung hat der technologische Wandel bereits sichtbare Auswirkungen. Künstliche Intelligenz beginnt nicht nur, die Produkte selbst zu erobern. Gefühlt hat jedes Unternehmen bereits eine KI-Funktion veröffentlicht oder steht kurz davor. Darüber hinaus sind bereits erste Veränderungen in der Konzeption, der Entwicklung und dem Betrieb digitaler Produkte erkennbar. 

KI-gestützte UI-Generatoren, wie z.B. Autodesigner und Genius, UX-Research-Bots, wie Xelper und Tellet, oder die KI-Erweiterungen in der UX-Plattform von Rapidusertests oder im Journey Management-Tool von cxomni, sind die besten Anzeichen dafür, dass wir auch im UX-Bereich schon mitten in diesem Wandel stecken. 

Wenn man nicht so genau hinschaut und sich vom aktuellen Hype oder dem Aktionismus mitreißen lässt, könnte man zu dem Schluss kommen, dass UX-Aufgaben bald auch ohne UX-Expertise erledigt werden können. Daran glaube ich nicht, denn künstliche Intelligenz hat ein paar Kehrseiten: 

  • Zum einen benötigt KI unglaublich viel Energie und Wasser. Angesichts der Klimakrise kommt dieser Technologiesprung zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Nachhaltige Energiequellen stehen der Menschheit derzeit noch nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung, um das Potenzial von KI voll ausschöpfen zu können.
  • Zum anderen ist Künstliche Intelligenz unglaublich teuer. Die Entwicklungskosten für diese KI-Werkzeuge sind astronomisch. Es liegt auf der Hand, dass die großen KI-Anbieter sehr stolze Preise verlangen müssen. Das wiederum erhöht den Druck auf die Unternehmen, in denen gerade die Kosten im Fokus des Managements stehen.
  • Hinzu kommt, dass viele der verfügbaren KI-Tools nur auf den ersten Blick brauchbare Ergebnisse liefern. Der produktive Einsatz erfordert derzeit noch einen hohen unternehmensinternen Personalaufwand, um am Ende Ergebnisse in verlässlicher Qualität zu produzieren. Die Qualitätssicherung der Ergebnisse von KI-Tools wird noch einige Zeit einer umfassenden Automatisierung im Weg stehen.

Kurzfristig erwarte ich vor allem einen enormen Boost in Effizienz sowie Entwicklungsgeschwindigkeit. Damit sich die Unternehmen diesen technologischen Wandel leisten und die enormen Effizienz- und Geschwindigkeitsvorteile nutzen können, benötigen sie die entsprechenden Mittel. Und da neue Umsätze in der aktuellen konjunkturellen Lage nicht auf Bäumen wachsen, bleibt vielen Unternehmen nichts anderes übrig, als die Kosten zu drücken, um Geld “freizuschaufeln”.

Was ändert sich eigentlich gerade nicht?

Trotz aller technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen gibt es aber auch Dinge, die sich nicht ändern. Eines davon ist die menschliche Natur. Diese verändert sich nur sehr langsam über Generationen hinweg.

Konkret heißt das: Auch wenn künstliche Intelligenz eines Tages aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken sein wird, werden sich die Menschen nicht grundlegend ändern. Menschen werden auch in Zukunft im Wesentlichen nur das kaufen, was ihnen einen Nutzen bringt und ihre Bedürfnisse befriedigt. Das menschliche Erleben und die Bewertung des Erlebten wird weiterhin davon abhängen, wie gut die Erwartungen der Menschen erfüllt werden. 

Es wird auch so bleiben, dass Menschen, die wiederholt enttäuscht werden, irgendwann resignieren. Das sage ich vor allem mit Blick auf die Unternehmen, die heute glauben, dass KI es schon irgendwie richten wird. Wenn KI-Features wiederholt Bedürfnisse nicht erfüllen und Erwartungen enttäuschen, dann wird irgendwann der Punkt kommen, an dem Anwender:innen resignieren und jede neue KI-Funktion dieser Unternehmen ignorieren. 

“Ach nee lass mal, nicht schon wieder so ein unnützes KI-Ding.”

Der Produkterfolg hängt auch in der “neuen” Epoche davon ab, wie gut ein Produkt Bedürfnisse und Erwartungen erfüllt. 

Um erfolgreich zu sein, müssen sich Produkte auch in Zukunft im Markt von der Konkurrenz abheben. Wenn nun alle Unternehmen mit den gleichen KI-Modellen und KI-gestützten Werkzeugen arbeiten, dann reicht das zwar für mehr Effizienz und Geschwindigkeit, aber weder für eine wirksame Differenzierung noch für einen großartigen Produkterfolg.

Was wird sich für UXler:innen im Allgemeinen verändern?

Bei den Überlegungen, was sich konkret für UXler:innen verändert, gehe ich von diesen Grundannahmen aus:

  1. Menschen kaufen weiterhin die Produkte, die ihre Bedürfnisse und Erwartungen erfüllen.
  2. Unternehmen müssen sich weiterhin am Markt differenzieren, um erfolgreich zu sein.

Denkbare Entwicklungen, dass beispielsweise KI-Agenten im Auftrag von Menschen bei KI-Bots von Unternehmen einkaufen, lasse ich hier bewusst außen vor. 

Ich beginne zunächst mit der wirtschaftlichen Perspektive. Die Auswirkungen der aktuellen Fokussierung auf Kostenreduzierung oder Umsatzsteigerung führen dazu, dass UXler:innen ihr methodisches Vorgehen anpassen müssen. Anstatt nach methodischer Exzellenz zu streben, geht es in wirtschaftlich schwierigen Zeiten darum, UX-Methoden so einzusetzen, dass sie die Produkt- oder Unternehmensziele bestmöglich unterstützen. 

UX wird Teil des unternehmerischen Risikomanagements. In stürmischen Zeiten neigen Unternehmen dazu, aktionistisch zu handeln. Projekte werden schnell durchgepeitscht, um bestimmte Ziele zu erreichen. UXler:innen können in solchen Situationen dafür sorgen, dass Risiken rechtzeitig erkannt und bewusste Entscheidungen getroffen werden. UX-Methoden sind gut geeignet, um schnell zu erkennen, welche Risiken auf Kundenseite bestehen.

UXler:innen sollten ihre Arbeit und ihren Ressourceneinsatz eng an den Prioritäten, Risiken und Zielen des Projekts bzw. Unternehmens ausrichten. Durch einen risikoorientierten Ressourceneinsatz stellen sie sicher, dass die Projekte mit den größten Risiken auch die größte Aufmerksamkeit erhalten.

Darüber hinaus ist zu erwarten, dass UX-Professionals – ähnlich wie CX-Professionals – ihren wirtschaftlichen Wertbeitrag deutlicher herausarbeiten und kommunizieren müssen. Sie sollten den Zusammenhang zwischen UX-Ergebnissen und wirtschaftlichen Ergebnissen kennen, nachweisen und darstellen. UX-Professionals sollten daher verstärkt datengetriebene Ansätze nutzen, um Entscheidungen zu untermauern und die Priorisierung von Projekten auch aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu unterstützen. Diese Ansätze helfen auch bei der Entwicklung und Bereitstellung von Metriken und KPIs, die den Einfluss ihrer Arbeit auf Unternehmensziele wie Umsatz, Kundenbindung und Markendifferenzierung sichtbar machen.

Der Einsatz von KI-Tools wird sich im ersten Schritt auf die operativen Tätigkeiten von UXler:innen auswirken, wie z.B. die Durchführung bzw. Auswertung von Interviews oder die Erzeugung von Entwurfsvarianten in der Produktgestaltung. KI-Tools werden UXler:innen in diesen operativen Aufgaben entweder unterstützen bzw. ersetzen. Ich gehe davon aus, dass KI-Tools einfache operative UX-Aufgaben in Zukunft gleichwertig oder besser erledigen können. 

Da KI-Tools auf absehbare Zeit nicht unfehlbar sein werden, müssen sie von Menschen überwacht werden. Die Anforderungen an solche Supervisoren von KI-Tools sind relativ hoch, da sie die Arbeitsergebnisse der KI-Tools bzw. der automatisierten Prozesse bewerten und ggf. nachjustieren können müssen. Automatisierte UX-Prozesse müssen zudem von UX-Professionals konzipiert, aufgebaut und betrieben werden. Denn auch KI-Tools integrieren sich nicht von selbst in Prozesse und garantieren keinen reibungslosen Ablauf.

Die Nutzung von KI in Produkten bzw. in UX-Prozessen sollte so ausgestaltet sein, dass sie stets einen Nutzen für Kund:innen, Anwender:innen, Mitarbeitende und Unternehmen schafft. UX-Professionals sollten die ethischen Implikationen der Nutzung von KI-Tools verstehen und berücksichtigen, um sicherzustellen, dass die generierten Ergebnisse fair und inklusiv sind. Der Einsatz von KI-Tools sollte klaren Prinzipien unterliegen, die die Werte des Unternehmens widerspiegeln und die Einhaltung gesetzlicher sowie gesellschaftlicher Rahmenbedingungen sicherstellen.

Überall dort, wo zwischenmenschliche Interaktionen erfolgskritisch sind, wird KI auch in Zukunft nicht die Arbeit übernehmen können. Der Beginn und das Ende von UX-Aufgaben bzw. UX-Projekten werden daher eine deutliche Aufwertung erfahren. Der Umgang mit Stakeholder:innen, das Erkennen von zu klärenden Fragen oder zu lösenden Problemen und die Überführung der Erkenntnisse bzw. gestalterischen Lösungen in die Produktion werden zu Kernaufgaben von UX-Professionals.

KI-Tools werden die Demokratisierung von UX vorantreiben. In Zukunft werden auch Menschen ohne die nötige UX-Kompetenz mit Hilfe von KI-Tools UX-Aufgaben übernehmen können. Vor allem, wenn es sich um risikoarme bzw. einfachere Aufgaben oder Projekte handelt. UX-Professionals sollten sich darauf konzentrieren, komplexere, risikoreiche und strategische Aufgaben zu übernehmen, bei denen Kreativität, Erfahrung, Empathie und zwischenmenschliche Interaktion erforderlich sind.

Kurzum: Ich gehe davon aus, dass uns die Arbeit nicht ausgeht. Einige Aufgaben werden automatisiert, aber andere Aufgaben werden zunehmen und neue Aufgaben werden hinzukommen. KI wird ein normales Werkzeug für UX. 

UXler:innen tun gut daran, jetzt darüber nachzudenken, wie sie automatisierte UX-Prozesse für das Unternehmen aufbauen können, in denen ein Großteil der operativen UX-Arbeit automatisiert abläuft. Das schafft Raum für wichtige Themen und hilft, UX bzw. Human Centricity im Unternehmen zu skalieren. Wichtig ist dabei, dass die UXler:innen diese Prozesse in der Hand behalten und sicherstellen, dass am Ende nützliche Erkenntnisse und zielführende Ergebnisse herauskommen. 

Das stellt neue Anforderungen an die Aus- und Weiterbildung von UX-Professionals. Nicht nur müssen sich UX-Professionals kontinuierlich weiterbilden, um in diesen wilden Zeiten mithalten zu können. Darüber hinaus verschiebt sich der Fokus von operativen Tätigkeiten hin zu 

  • Strategie, 
  • Prozessanalyse und -design,
  • lateraler Führung, 
  • Stakeholder-Management, 
  • Moderation sowie 
  • Aufbau, Betrieb und Überwachung automatisierter UX-Prozesse.

Für Junior-UXler:innen wird es aufgrund der zu erwartenden hohen Abhängigkeit von KI-gestützten Design- und Research-Tools zudem eine Herausforderung sein, ihre UX-Kompetenzen auf ein Senior-Niveau zu bringen. Mentoring-Programme, gezielte Trainingsformate und Lerngruppen können beispielsweise helfen, diese Lücke zu schließen und sicherzustellen, dass auch Nachwuchskräfte die notwendigen Kompetenzen entwickeln.

Was verändert sich für UX-Designer:innen?

KI wird die Effizienz des digitalen Produktdesigns erheblich steigern, z. B. bei der Ideenfindung und der Erzeugung von Varianten. Sie wird den kreativen Teil der Designphase beschleunigen. In der Konzeptionsphase kann sie UX-Designer:innen, insbesondere in Verbindung mit einem Designsystem, von mühsamen Tätigkeiten entlasten, z.B. das Erstellen von Standard-Screens für wiederkehrende Bedienabläufe oder das Erstellen von Icons. Die Visualisierung von Umsetzungsideen in Form von Mockups oder Prototypen wird dadurch deutlich beschleunigt. Ich wage die Prognose, dass die meisten Design-Artefakte wie Icons, Grafiken oder Hintergründe in Zukunft von KI generiert werden.

Diese Fortschritte werden die Demokratisierung des UX-Designs, die mit Desktop-Publishing und Web-Editoren bereits begonnen hat, weiter vorantreiben. Mehr Menschen werden in der Lage sein, akzeptable Designs zu erstellen. Dies wird zum einen dazu führen, dass kleine Unternehmen, die sich bisher keine Design-Expert:innen leisten konnten, in der Lage sein werden, besseres Design zu erzeugen. Zum anderen wird es dazu führen, dass der Wettbewerb auf dem Markt aus der Sicht des Designs intensiver wird und es schwieriger wird, sich über das Produktdesign zu differenzieren.

In großen Unternehmen führt dies dazu, dass die Produktgestaltung für 

  • einfache Probleme, 
  • Projekte mit geringer Priorität oder geringem Risiko oder 
  • Projekte, die nicht der Differenzierung am Markt dienen, 

auch von Personen ohne umfassende Designkompetenzen erzeugt werden kann. Damit dies nicht im gestalterischen Chaos endet, wird es notwendig sein, KI-Werkzeuge so in Prozesse einzubinden und die nötigen Grundlagen zu schaffen, dass grundlegende Anforderungen an Qualität, Konsistenz und Markenwerte erfüllt werden. Grundlagen können ein Designsystem, UI-Pattern oder Templates für Bedienoberflächen sein. Produktdesign wird in Zukunft eine erweiterte technische Infrastruktur benötigen, um zielgerichtetes Produktdesign in dieser Größenordnung und in automatisierten Prozessen zu ermöglichen. Dies erweitert die Aufgaben von DesignOps-Teams.

Es bedeutet aber auch, dass Unternehmen weniger ausgebildete UX-Designer:innen benötigen, um eine ausreichend gute Produktgestaltung zu erreichen. Da in vielen Unternehmen in der DACH-Region ein Mangel an UX-Designer:innen herrscht, erwarte ich keine flächendeckenden Auswirkungen auf bestehende UX-Organisationen. 

Einige gehen derzeit so weit zu sagen, dass es in Zukunft möglich sein wird, generierte Designs direkt in Code zu überführen. Hier bin ich sehr skeptisch, ob das jemals passieren wird. Produktionsreife Entwürfe müssen viele Anforderungen erfüllen, damit eine automatische Umsetzung in Code am Ende wirklich funktionieren kann. In der heutigen Praxis müssen Designentwürfe während der Entwicklung immer wieder angepasst werden, um dies zu erreichen. Bei der Produktentwicklung geht es außerdem nicht nur um die Umsetzung, sondern auch darum, zu lernen, wie das Produkt beschaffen sein muss, um erfolgreich zu sein. Dazu müssen Menschen testen, beobachten, miteinander diskutieren und sich eine gemeinsame Meinung bilden.

Darüber hinaus werden KI-Tools in Zukunft ein wesentlich besseres Designmanagement als bisher ermöglichen. Insbesondere dann, wenn es darum geht, Inkonsistenzen in Produkten und an Touchpoints aufzudecken oder durch die automatisierte Erstellung von Designentwürfen von vornherein für ein konsistentes Produktdesign zu sorgen. Aber auch Design Reviews, die der Verbesserung der Designqualität dienen, können durch KI-Werkzeuge unterstützt werden.

Künstliche Intelligenz wird auch Auswirkungen auf die Produktgestaltung selbst haben. Zum einen stellt die Interaktion mit autonomen Systemen für die Anwender:innen oftmals Neuland dar. Hier müssen viele neue UI-Pattern erfunden und gestaltet werden, die eine reibungslose Interaktion ermöglichen. Zum anderen wird KI eine echte Personalisierung von User Interfaces und ganzen User Journeys ermöglichen. Es wird denkbar, dass die Interaktion zwischen Mensch und Maschine bzw. Unternehmen auf die individuellen Bedürfnisse und Erwartungen von einzelnen Menschen zugeschnitten werden kann.

Die Veränderungen verschieben die Rolle von UX-Designer:innen von operativen Gestaltern:innen hin zu kreativen Geschäftsleuten. Durch gezielte Produktgestaltung und gestalterische Lösungen für Problemstellungen unterstützen sie Unternehmen dabei, sich am Markt zu differenzieren und mehr Kund:innen zu gewinnen.

Was verändert sich für UX-Researcher:innen?

Für UX-Researcher:innen stecken in den aktuellen Veränderungen ebenfalls deutlich mehr Chancen als Risiken. Durch künstliche Intelligenz können neue Forschungsansätze realisiert werden, die früher schlicht nicht umsetzbar waren. Ein Beispiel: Früher wurde bei der Gestaltung von Fragebögen wenig mit Freitext gearbeitet, weil Freitexte die großen Kostentreiber bei der Auswertung waren. Jede Freitextantwort musste gelesen und manuell ausgewertet werden. Heute ist es durch maschinelles Lernen und Sprachmodelle möglich, Tausende von Freitext-Feedbacks in kürzester Zeit zu verarbeiten und auszuwerten.

Auch der Fokus auf Wirtschaftlichkeit eröffnet neue Möglichkeiten. Wenn sich UX-Researcher:innen mehr auf die wirtschaftlichen Auswirkungen und die Minimierung von wirtschaftlichen Risiken fokussieren, können sie ihre Erkenntnisse gezielt nutzen, um Entscheidungsprozesse zum Vorteil ihrer Unternehmen zu unterstützen. Dies erhöht die Relevanz ihrer Arbeit und führt zu einer stärkeren Etablierung der Menschzentrierung.

Durch die Identifizierung und Analyse von wirtschaftlichen Risiken können UX-Researcher:innen zudem präventiv handeln, indem sie potenzielle Probleme prognostizieren und frühzeitig adressieren. Dies trägt zur Risikominimierung bei und kann langfristig erhebliche Kosten vermeiden, die durch schlechte User Experience verursacht werden. Der Fokus auf wirtschaftliche Aspekte erleichtert auch die Argumentation für weitere Investitionen in UX-Research.

Weiterhin können UX-Researcher:innen durch die Verbindung ihrer Erkenntnisse mit wirtschaftlichen Kennzahlen die Priorisierung von Projekten und damit den Einsatz von UX-Ressourcen optimieren. Dies trägt zur Steigerung der Gesamteffizienz des Unternehmens bei.

Generell ist bereits jetzt zu beobachten, dass sich UX-Research mehr in Richtung quantitativer und statistischer Methoden entwickelt. KI-gestützte Monitoringsysteme für das Kundenverhalten und die Wahrnehmung von UX bzw. CX unterstützen bereits heute Produktteams beim Betrieb und der Verbesserung ihrer Produkte. Die so gewonnenen Daten werden in Verbindung mit betriebswirtschaftlichen Kennzahlen dazu beitragen, die Effektivität der Produktteams und den Produkterfolg zu verbessern.

Auch im UX-Research ist seit längerem eine Demokratisierung zu beobachten. Methoden wie Usability-Tests oder Befragungen zu einfachen Fragestellungen sind nicht so kompliziert, dass man unbedingt langjährige Erfahrung benötigt. In Zukunft werden einfache Fragen mit Hilfe von KI-Tools auch von Mitarbeitenden beantwortet werden können, die nicht über umfassende Kompetenzen im UX-Research verfügen. Dies wird sich positiv auf den Lernprozess in der Produktentwicklung und die Menschzentrierung von Unternehmen auswirken. 

Diese Art von UX-Research setzt eine entsprechende technische Infrastruktur voraus. Es braucht analytische Pipelines vom Kundenfeedback über die maschinelle Auswertung bis zum Lernmoment im Produktteam. Erfolgreiches UX-Research wird davon abhängen, wie gut die UX-Researcher:innen in der Lage sind, eine solche Infrastruktur entweder auf Basis gekaufter oder selbstentwickelter Werkzeuge bereitzustellen und zu betreiben. Solche datengetriebenen Systeme für UX-Research müssen konzipiert oder beschafft und an die Ziele, Bedürfnisse und das Fachgebiet des Unternehmens angepasst werden. Die Daten müssen so aufbereitet werden, dass sie von internen Stakeholdern genutzt werden können und in die Lernkultur des Unternehmens passen.

Damit das Lernen auf Basis solcher Daten gelingt, ist ein gutes Journey Management notwendig. Die ganzheitliche Betrachtung von Customer und User Journeys bildet die Grundlage für menschzentriertes Lernen und wird zu einem wesentlichen Handlungsfeld von UX-Researcher:innen bzw. Journey Manager:innen.

Die Befähigung der Mitarbeiter:innen zur Nutzung solcher Daten und zur datengestützten Entscheidungsfindung auf Basis von Kundenfeedback wird in Zukunft mehr Aufmerksamkeit erfordern. UX-Researcher:innen werden noch mehr als heute zu Mitarbeitenden, die Kundenwissen ins Unternehmen tragen und nutzbar machen sowie Empathie für Kund:innen erzeugen. 

Ein weiteres Handlungsfeld für UX-Research, das durch die Veränderungen an Bedeutung gewinnen wird, ist Product Discovery. Um in der Phase des wilden Wandels bestehen zu können, müssen Unternehmen herausfinden, womit sie (neuen) Umsatz generieren können. Product Discovery wird zum Lernprozess für den Produkterfolg. Es geht darum, Bedürfnisse zu erkennen, Risiken abschätzbar zu machen und Annahmen zu validieren, um die Erfolgschancen eines Entwicklungsprojekts zu maximieren. UX-Researcher:innen werden zu Lernbegleiter:innen für Produktteams, die die eingesetzten Methoden immer wieder neu zuschneiden und anpassen, um die konkreten Fragen der Product Discovery möglichst schnell beantworten zu können.

Automatisiertes UX Research führt auf den ersten Blick dazu, dass in Unternehmen insgesamt weniger UX Researcher:innen benötigt werden. Zeitaufwändige operative Aufgaben, wie die Transkription von Interviews oder die manuelle Auswertung von Interviews, werden in Zukunft weitgehend automatisiert durchgeführt. Auf diese Weise werden UX-Researcher:innen vor allem bei der Datenerhebung, Datenauswertung und Datenvisualisierung effizienter. Da durch die starken Veränderungen aber eher mehr Fragen und Risiken von den Unternehmen im Auge behalten werden müssen und es in der Regel zu wenige UX-Researcher:innen in den Unternehmen gibt, wird dies meiner Einschätzung nach keine flächendeckenden und dauerhaften negativen Auswirkungen haben. Im Gegenteil, ich erwarte, dass immer mehr Unternehmen diesen Bedarf erkennen werden.

Die Aufgaben von UX-Researcher:innen werden sich von entwicklungsbegleitendem UX-Research hin zu strategischem UX-Research, das die Bedürfnisse von Anwender:innen und Unternehmen in Balance bringt, verändern.

Also doch keine Bedeutungslosigkeit?

Die Antwort ist ein klares “Ja, UX wird nicht bedeutungslos.”. Die Erforschung und Gestaltung von menschlichen Erlebnissen wird nicht in der Bedeutungslosigkeit verschwinden und damit auch nicht die UX-Berufe. 

Aber unsere Arbeit wird sich grundlegend verändern. Es kann nicht mehr darum gehen, isoliert den Reifegrad von UX oder CX erhöhen zu wollen oder Unternehmen zu mehr Menschzentrierung zu “überreden”. UX-Professionals werden von “Methoden-Expert:innen” zu wichtigen Lieferanten für bessere Geschäftsentscheidungen und Teil des Risikomanagements. In den nächsten Jahren wird der tatsächliche Zusammenhang zwischen menschlichen Erlebnissen und Geschäftsergebnissen eine viel größere Rolle spielen – sowohl im UX-Design als auch im UX-Research. Ich gehe auch davon aus, dass sich dadurch auch die Grenzen zwischen den verschiedenen Experience-Disziplinen, also CX, UX und EX, aufweichen werden. Sie werden mehr zusammenrücken, weil sie auf die gleichen Geschäftsergebnisse einzahlen.

Wir werden unsere Arbeitsweise überdenken. Wir werden UX stärker in Skalierung denken. Wir werden die Prozesse für UX & CX so gestalten, dass sie auch Mitarbeitenden ohne UX-Ausbildung helfen, menschzentriert zu arbeiten. Wir werden KI-Tools einsetzen, um die Effizienz unserer Arbeit zu steigern. Wir werden ein stärkeres Bewusstsein für den Zusammenhang zwischen Kosten und Wirkung unserer Arbeit entwickeln. Wir werden diese neue Kompetenz nutzen, um die Relevanz unserer Arbeit zu steigern.

Auch wenn es derzeit schwierig ist, blicke ich positiv in die Zukunft. Wenn wir jetzt handeln und die Chancen des Wandels nutzen, werden wir am Ende erfolgreicher sein als heute.