Dr. Catharina Hamm:: "Frauen, schützt eure Herzen, es lohnt sich!"
Frauen haben ein großes Herz, heißt es oft – dabei ist es kleiner als das männliche. Und leider auch gefährdeter. Die Kardiologin Dr. Catharina Hamm erklärt die wichtigsten Risikofaktoren und wie wir unsere Herzgesundheit schützen.
Frauen haben ein großes Herz, heißt es oft – dabei ist es kleiner als das männliche. Und leider auch gefährdeter. Die Kardiologin Dr. Catharina Hamm erklärt die wichtigsten Risikofaktoren und wie wir unsere Herzgesundheit schützen.
Die größte Todesgefahr für Frauen ist ihr Herz. Es sterben zehnmal so viele an einer Herzerkrankung als etwa an Brustkrebs. Dabei könnten wir laut Dr. Catharina Hamm das Risiko um mindestens die Hälfte reduzieren. Die Kardiologin und Notfallmedizinerin ist Oberärztin an einem großen deutschen Herzzentrum, gerade ist ihr Buch "Save Your Heart" erschienen.
Nur: Vorsorge ist nicht sexy oder, wie es die Ärztin im Gespräch mit BRIGITTE ausdrückt: "Nobody is thankful for the disaster that didn’t happen" – soll heißen, unser Gesundheitssystem und vielfach auch die eigene Haltung ist zu sehr auf Reparieren und Heilen konzentriert. Dabei wäre es doch viel besser, gar nicht erst krank zu werden. Doch dafür müssen wir selbst etwas tun.
"Herzerkrankungen entstehen nicht von heute auf morgen, sondern über 20, 30 Jahre", sagt Hamm. Das Risiko setzt sich zusammen aus 20 Prozent Genetik, 30 Prozent Umwelt, also etwa dem Sozialstatus oder Zugang zu medizinischer Versorgung, und 50 Prozent Lifestyle. Die gute Botschaft dieser Zahlen: Lifestylefaktoren können wir aktiv beeinflussen. Das macht doch Hoffnung!
Herzgesunder Lifestyle: Die Ärztin macht es vor
Die 43-Jährige geht selbst mit gutem Beispiel voran: "Ich esse jeden Morgen meine Overnight Oats mit frischen Beeren. Weil sie schmecken und weil Haferflocken herzgesunde Beta-Glucane enthalten. Außerdem genieße morgens meinen Kaffee ganz in Ruhe. Kaffee in Maßen ist besser fürs Herz als viel denken."
Die Herz-Expertin achtet auch auf genug Bewegung im Alltag. "Wenn ich es nicht zum Sport schaffe, versuche ich auf meine 10.000 Schritte zu kommen. Krafttraining steht bei mir fix zwei Mal die Woche auf dem Plan, egal wo ich gerade bin."
Weil sie weiß, wie sehr Stress dem Herzen zusetzt und wie wichtig daher Entspannung ist, versucht die 43-Jährige so gut es geht auf ihre 7–8 Stunden Schlaf pro Nacht zu kommen und gönnt sich öfter mal Social Media Detox. "Ich kann zum Beispiel beim Joggen im Wald abschalten und bekomme so den Kopf frei. Es ist wichtig zu wissen was einem gut tut – bei machen ist Entspannung einen Kuchen zu backen oder Stricken. Bei mir ist definitiv Bewegung an der frischen Luft."
Zeit mit Freunden und Familie verbringen, das tut dem Herzen gut! Und nicht zu viel über Dinge aufregen die man nicht ändern kann. Lieber auf das Gute fokussieren!
Wichtig zu wissen: Die 5 größten Risikofaktoren fürs Herz
Übergewicht
Es geht hierbei nicht um ein paar Pfunde zu viel auf den Rippen. Adipositas oder Fettleibigkeit beginnt offiziell bei einem BMI von 30, diese Einheit ist jedoch sehr ungenau (als Alternative wird der Body-Roundness-Index diskutiert), um das tatsächliche Risiko einzuschätzen. Vor allem kommt es auf den Anteil der Fettmasse und die Fettverteilung an im Körper an, denn insbesondere das Bauchfett führt zu Stoffwechselstörungen, weil es zahlreiche krank machende Botenstoffe und Entzündungsfaktoren produziert. "Entzündungen haben viel mehr mit dem Herzen zu tun als die meisten denken. Arteriosklerose in den Gefäßen ist eine entzündliche Erkrankung", erklärt Dr. Catharina Hamm.
Bluthochdruck
Im Anfangsstadium von Bluthochdruck macht sich der "Ladykiller", wie Dr. Hamm ihn in ihrem Buch nennt, kaum oder gar nicht bemerkbar. Er überanstrengt den Herzmuskel aber auf Dauer, weil dieser mit jedem Herzschlag gegen den höheren Widerstand anarbeiten muss. Der Muskel verdickt und braucht dann immer mehr Sauerstoff, den er aber nicht bekommt. Bluthochdruck führt zu Gefäßschäden im gesamten Organismus. Neben dem Herzen sind auch Nieren, Augen und Gehirn dadurch gefährdet.
Erhöhte Cholesterinwerte
Cholesterin sind Fettmoleküle und lebensnotwendige Baustoffe für Zellen und Hormone. Den Transport im Körper übernehmen sogenannte Lipoproteine. Das LDL-Cholesterin (Low Density Lipoprotein) schleust Fettmoleküle zu den Zellen, HDL-Cholesterin (High Density Lipoprotein) bringt überschüssiges Fett zurück zur Leber, wo es abgebaut wird. Stimmt das Verhältnis nicht, überwiegt also das LDL, das "böse" Cholesterin, bilden sich Plaques und Arteriosklerose entsteht.
Diabetes
"Zucker frisst Löcher in die Zähne und auch ins Endothel, die innere Schutzschicht der Gefäße", erklärt Dr. Hamm. "Durch diese Löcher kann Cholesterin besser eindringen und sich ablagern." Dabei schädigt Diabetes mellitus Frauenherzen noch stärker als Männerherzen. Zum einen sind Frauen kränker, wenn sie den Diabetes bekommen, zum anderen haben sie länger einen Prädiabetes, also die Vorstufe – und auch die ist auch schon schädlich für die Gefäße. Deshalb rät die Expertin: "Dem Herz zuliebe den Zucker gut einstellen."
Rauchen
In Tabakrauch stecken viele chemische Schadstoffe, die nicht nur krebserregend sind, sondern den Blutdruck erhöhen, die Gefäße verengen und Ablagerungen fördern. Dadurch steigt das Herzinfarktrisiko massiv an. Besonders bei Frauen. Raucherinnen haben im Vergleich zu Rauchern ein um 25 Prozent erhöhtes Risiko für schädliche Ablagerungen an den Herzkranzgefäßen. Es ist nie zur spät damit aufzuhören. Nach einem Jahr ohne Zigaretten ist das Risiko bereits halbiert. Aber erst nach 15 Jahren Rauchkarenz gleicht es dem von Nichtraucher:innen.
Aufgepasst! Frauenherzen fliegen scheinbar unter dem Radar
Dr. Catharina Hamm, die auch Expertin für Gendermedizin ist, kennt aus ihrer Praxis zahlreiche Fälle, bei denen Herzprobleme bei Frauen nicht oder zu spät erkannt und behandelt wurden, weil die Symptome entweder nicht ernstgenommen oder aber fehlgedeutet werden.
Die Zahlen belegen: Frauen bekommen zwar nicht häufiger einen Herzinfarkt als Männer, aber sie versterben öfter daran. "Die sogenannte 30-Tage-Mortalität ist zum Teil doppelt so hoch wie bei Männern", weiß Dr. Hamm. Zwar geht die Sterblichkeitsrate insgesamt zurück, aber Analysen zeigen, dass eben gerade in der Altersgruppe von 45 bis 60-jährigen Frauen dieser Wert unverändert hoch liegt. Zum einen, weil in diesen Jahren die Risikofaktoren Diabetes und Übergewicht so stark zunehmen bei Frauen. Aber auch, weil dies das Alter ist, in dem alle die Gefahr fehleinschätzen – und zwar die Frauen selbst, aber ebenso das medizinische Personal. Und dann vergeht wertvolle Zeit. "Die Zeitverzögerung bei der Behandlung ist das Problem", bestätigt die Medizinerin.
Ein weiteres Problem: Die Symptome von Herzrhythmusstörungen werden oft mit Panikattacken verwechselt. Vor allem bei jüngeren Frauen. "Ich denke da an eine Patientin, die drei Jahre lang Psychopharmaka bekam und starke Nebenwirkungen hinnehmen musste", erzählt Dr. Hamm. Bis diese Frau sich irgendwann eine Smartwatch kaufte und fast zufällig bemerkte, dass bei ihr anfallsartig der Puls extrem hoch anstieg. Es war also doch etwas Organisches. "Wir haben die entsprechende Stelle im Herzen, die die Herzrhythmusstörung verursacht hat, verödet und die 'Panikattacken', die gar keine waren, hörten sofort auf. Die Psychopharmaka hätte sie also gar nicht gebraucht."
Selbst wenn Frauen wegen einer Herzerkrankung in Behandlung sind, nehmen sie deutlich seltener Reha-Maßnahmen war. Und zwar, weil sie ihnen seltener angeboten werden und, falls doch, weil ihnen lauter Gründe einfallen, warum sie nicht hinmöchten. Zum Beispiel, weil sie den Mann oder zu pflegende Angehörige nicht allein lassen wollen oder können. Wenn sie aber in einer Reha sind, fühlen sie sich dort oft sehr unwohl und brechen den Aufenthalt vorzeitig ab. "Ich hatte eine Patientin, die war 44 mit einem schweren Herzinfarkt. In der Reha war sie die einzige jüngere Frau unter lauter alten Männern, mit denen sie kaum Anknüpfungspunkte hatte", erinnert sich Dr. Catharina Hamm. Wir bräuchten eigentlich eigene Frauenherzen-Reha-Einrichtungen. Denn wir wissen, dass Reha einen ganz großen Einfluss auf den weiteren Verlauf der Krankheit hat. Ich würde mir wünschen, dass Frauen das häufiger wahrnehmen."
Warum Östrogen so eine große Rolle spielt
Das weibliche Geschlechtshormon Östrogen wirkt antientzündlich und verhält sich wie ein Schutzschild für die Gefäße. Mit Eintritt in die Wechseljahre geht die Östrogenproduktion natürlicherweise zurück, bis die Eierstöcke gar keines mehr produzieren. Dadurch wendet sich das Blatt, weil der wichtige Herzschutz fehlt. Erschwerend kommt hinzu, dass postmenopausal der Anteil des viszeralen Fetts ansteigt, weil Muskelmasse verloren geht. "Dieses viszerale Fett ist proinflammatorisch", erklärt die Ärztin. Mehr dazu erfährst du im Artikel Wechseljahre und Bauchfett.
Bei Frauen steigt der LDL-Wert nach der Menopause um bis zu 30 Prozent an. Das liegt daran: Östrogen hilft, die LDL-Rezeptoren an der Leber auszubilden. Darüber wird das Cholesterin in die Zelle geschleust. Je weniger davon da sind, desto weniger kann reingeschleust werden und es bleibt mehr im Blut. Außerdem verbrauchen wir das LDL nicht mehr für die Östrogenbildung – Cholesterin ist eine Vorstufe von Östrogen.
Meno an mich_Folge 48 (Herzgesundheit)
Auch der Blutdruck ändert sich mit den Wechseljahren. Frauen haben ja in jüngeren Jahren eher einen zu niedrigen Blutdruck. "Postmenopausal haben fast 50 Prozent der Frauen behandlungsbedürftigen Bluthochdruck", erklärt Dr. Hamm. Dazu muss man wissen, dass bei Frauen das Herzinfarktrisiko schon bei niedrigeren Blutdruckwerten beginnt als bei Männern. "Wir müssten Bluthochdruck bei Frauen also eigentlich noch früher behandeln. Nicht erst bei systolischen Werten ab 140 mmHg, sondern ich würde sie am liebsten so lange wie möglich bei 120/70 mmHg halten", so die Kardiologin. Denn wenn ein Frauenherz über Jahrzehnte einen recht niedrigen Blutdruck gewohnt ist, dann kann auch schon ein Wert von 140 kritisch sein, einfach weil der Anstieg enorm hoch ist.
Ein Ereignis, bei denen die Betroffenen zu 90 Prozent Frauen nach der Menopause sind, ist das Broken-Heart-Syndrom, oder auch Tako-Tsubo-Syndrom. Das ist eine vorübergehende Herzschwäche, die nach einem heftigen emotionalen Ereignis eintreten kann. Die in großer Menge ausgeschütteten Stresshormone docken dann an bestimmten Regionen im Herz an. Das lähmt beziehungsweise verformt die linke Herzkammer. Sie sieht dann aus wie eine japanische Tintenfischfalle namens Tako Tsubo. Auch hier besteht ein Zusammenhang mit dem Wegfall des Östrogens, das vor einem Stressansturm am Herzen schützt.
Kenne dein persönliches Risiko, erkenne die Red Flags
Was wir häufig nicht auf dem Schirm haben: Die Schwangerschaft ist eine enorme Belastung für den gesamten Organismus. Schwangerschaftsdiabetes und Schwangerschaftsbluthochdruck sind Risikofaktoren für eine spätere Herzerkrankung, die kaum jemand bedenkt. „Selbst wenn sie wieder weggehen nach der Schwangerschaft, hinterlassen sie einen Schaden am Gefäß, der erst Jahre später wieder sichtbar wird“, so Dr. Hamm. "Eine Schwangerschaft kann auch bestehende Veranlagungen für Gefäßschäden befeuern, weil das Herz-Kreislaufsystem zum ersten Mal richtig gestresst wird, auch durch das zusätzliche Blutvolumen, das die Frauen dann in sich haben", ergänzt die Expertin.
Leider fehlt es an der langfristigen Nachsorge in solchen Fällen, das gilt auch für Krebserkrankungen im Kindesalter. Hier wäre eine engmaschige Vorsorge zum Herzschutz nötig, um Spätfolgen der Erkrankung oder der Therapie eindämmen zu können.
Generell ist es sinnvoll, wenn man frühzeitig, also schon in jungen Jahren, seine Risiken kennt und dann immer nachjustieren kann. Das betrifft vorherige Erkrankungen, aber auch das Risikoprofil in der Familie, vor allem wenn es Herzinfarkte bei Verwandten ersten Grades gibt, also Mutter oder Vater.
Vor allem gilt es, Beschwerden wie starke Schmerzen oder Luftnot, die plötzlich und in Ruhe auftreten, ernst zu nehmen und schnell ärztlich abklären zu lassen. Mögliche Symptome eines Herzinfarktes bei Frauen sind:
- Schmerzen an Rücken, Kiefer, Hals
- Atemnot bei geringer Belastung
- Beklemmungs- und Angstgefühl
- Schmerzen im Oberbauch
- Schmerzen in Brust und Arm
- Müdigkeit und Benommenheit
- Übelkeit, Erbrechen
- Kaltschweißigkeit, blasse Haut
Frauen, achtet gut auf euch!
Der Verzicht auf Nikotin und Alkohol, eine gesunde, ausgewogene Ernährung, regelmäßige Bewegung – sprich ein gesunder Lebensstil – kann Übergewicht, Diabetes, Bluthochdruck und erhöhten Blutfettwerten entgegenwirken, also die allgemeinen Risikofaktoren in Grenzen halten. Wenn wir diese Basics beherzigen, ist schon sehr viel für die Herzgesundheit getan.
Bei Frauen wird jedoch noch zu wenig auf den Puls geachtet, findet Dr. Catharina Hamm. Sie empfiehlt daher, sich das Pulsmessen anzugewöhnen: "Pulsmessen ist die einfachste Form des Biohackings." Laut Deutscher Herzstiftung eignet sich dafür die Speichenarterie an der Innenseite des Handgelenks besonders gut: Einfach zwei oder drei Finger auf die Innenseite des Handgelenks unterhalb des Daumens legen und 30 Sekunden lang die Schläge mitzählen. Der Wert mal zwei ergibt den Puls pro Minute.
Bei Frauen liegt der Ruhepuls grundsätzlich etwas höher als bei Männern, weil wir weniger Blut pro Herzschlag transportieren. Normal ist ein Wert zwischen 60 und 90 pro Minute, aber gut wäre es, wenn er zwischen 60 und 70 liegt. "Ein geringerer Ruhepuls ist besser, weil jeder Schlag Sauerstoffverlust bedeutet. Je weniger oft es schlagen muss, desto mehr Energie spart sich das Herz", erklärt die Fachärztin.
Was wir sonst noch tun können: Regelmäßig zum Check-up in die Hausarztpraxis gehen. Den zahlt die Krankenkasse ab 35 alle drei Jahre, wenn keine Risikofaktoren vorliegen. Und falls etwas entdeckt wird, lassen sich hohe Blutfettwerte zum Beispiel mit Statinen behandeln. Wichtig ist nur, die Warnsignale nicht zu ignorieren.