Ethena wird zum drittgrößten Stablecoin – und sitzt in Frankfurt
Ethena (USDe) ist ein algorithmischer Stablecoin, der automatisch Zinsen auszahlt. Er zieht zahlreiche finanztechnische Register und könnte der perfekte Stablecoin werden - aber es gibt auch den einen oder anderen Haken.
Ethena (USDe) ist ein algorithmischer Stablecoin, der automatisch Zinsen auszahlt. Er zieht zahlreiche finanztechnische Register und könnte der perfekte Stablecoin werden – aber es gibt auch den einen oder anderen Haken.
Seit kurzem stieg Ethena (USDe) mit einer Marktkapitalisierung von fast sechs Millliarden Dollar zum drittgrößten Stablecoin überhaupt und zum größten algorithmischen Stablecoin im speziellen auf. Der Grund dürfte darin liegen, dass der relativ neue Coin seinen Besitzern automatisch beachtliche Zinsen von derzeit 11 Prozent auszahlt.
Ethena beansprucht, ein grundlegendes Problem von Stablecoins gelöst zu haben – nämlich das Stablecoin-Trilemma. Ihr kennt das Konzept: Man hat drei Ziele, aber kann nur zwei davon einigermaßen erreichen. Für Stablecoins bedeutet das, dass ein Coin nicht gleichzeitig zensurresistent, skaliarbar und stabil sein kann.
USDC ist stabil und skaliert, aber ist nicht zensurreistent, da er zentral herausgegeben wird. DAI-Dollar sind stabil und weitgehend zensurresistent, aber skalieren nicht, weil sie eine Über-Kollateralisierung benötigen. Coins wie die Terra-Dollar waren skalierbar und zensurresistent, aber nicht stabil.
Im Prinzip trifft das Trilemma den Markt recht gut. Ethena behauptet allerdings, es gelöst zu haben.
Aber wie? Und, vor allem: ist es glaubwürdig?
Am besten, ihr kocht euch an der Stelle einen Kaffee. Denn es wird ziemlich lang und kompliziert. Ethena verwendet eine Reihe von Konzepten des Finanzwesens und der Dezentralen Finanzen, über die ich trotz der hervorragenden Dokumentation selbst erst eine Weile brüten musste. Wenn ihr euch die Zeit nehmt, werdet ihr am Ende des Artikels nicht nur Ethena besser verstanden haben.
Macht uns ein neutrales Delta
Die USDe-Token, die Ethena herausgibt, sind ein „synthetischer Dollar“. Das bedeutet, dass sie nicht wie USDC oder USDT durch Dollar gedeckt werden, sondern durch andere Assets. Dies sind derzeit Bitcoin, Ethereum, andere Stablecoins und ein wenig Solana. Man kennt diese Strategie von anderen „algorithmischen Stablecoins“. Am bekanntesten sind die DAI-Dollar. Diese leiden aber daran, dass sie nur stabil bleiben, indem sie die Token überkollateralisieren, etwa ein DAI-Dollar durch Ether im Wert von 1,5 Dollar.
Ethena dagegen strebt ein 1:1-Kollateral an: Ein USDe wird durch Bitcoin oder Ether im Wert von einem Dollar gedeckt. Um den Wert dennoch stabil zu halten, wenn die Preise fluktuieren, fährt Ethena eine Strategie des „Delta-Hedgings“. Delta-Hedging meint, dass man mithilfe sorgfältig komponierter Optionen die Risiken minimiert, die durch die Kursschwankungen einer unterliegenden Position entstehen können. Man strebt einen „Delta-neutralen Status“ an, was bedeuten würde, dass alle Kursrisiken ausgetilgt sind.
Wenn ein USDe durch einen ETH gedeckt wird, hat es zunächst ein Delta von 1ETH. Um dieses auszugleichen, muss man eine Art Leerverkauf im Wert von 1ETH hinzufügen. Man muss also eine Wette darauf eingehen, dass der Ether-Preis fällt. Dies nennt man „shorten“. Wenn der Kurs der Bitcoin oder Ether dann steigt, verliert die Short-Position gleichermaßen an Wert, wenn er sinkt, gleicht die Wertsteigerung der Short-Position den Verlust aus. Im Grunde ist es dasselbe Konzept, mit denen Stablesats Dollar in eine Lightning-Wallet bringt.
Ethena verwendet dafür vor allem zwei Instrumente, die beide in die Klasse von Optionen bzw. Derivaten fallen: „Futures“, durch die ein Kauf oder Verkauf zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einem bestimmten Preis vereinbart wird, sowie „Perpetual Contracts“, die zu einem beliebigen Zeitpunkt geschlossen werden können. Mit ihnen kann man auf steigende Kurse wetten („long“) oder auf fallende („short“). Beide Instrumente haben ihre Vor- und Nachteile. So sind Perpetual Swaps etwa vor allem für kurzfristige Zeiträume attraktiv, Futures dagegen für langfristige.
Indem Ethena also mit diesen Derivaten versucht, ein neutrales Delta herzustellen, wird USDe laut eigenen Angaben zum „kapital-effizientesten synthetischen Dollar der Branche“.
ENA-Token und das Risikokommittee
An sich soll Ethena eine Art DAO sein, eine Dezentrale Autonome Organisation. Und wie jede zünftige Web3-DAO hat auch Ethena ein eigenes Token, die ENA.
Die ENA sind „Governance Token“, was vor allem zwei Vorteile hat: Erstens verlagern sie die Entscheidungen auf ein Kollektiv, was für die Gründer regulatorisch freundlich ist, und zweitens erlauben sie es, Kapital einzuholen, ohne über die üblichen regulatorischen Hürden springen zu müssen.
Die Besitzer der ENA-Token können derzeit zwei Mal im Jahr die Mitglieder eines „Risiko-Kommittee“ wählen. Dieses hat die Aufgabe, Risiken im Ökosystem zu identifizieren und zu managen. Mitglieder des Risiko-Kommittees können Änderungen im Prozess und Ablauf von Ethena beantragen, etwa über neue Trading-Strategien oder die Integration weiterer Coins und Token als Deckung. Künftig sollen die ENA-Besitzer auch weitere Abstimmungsechte erhalten.
Laut Coinmarketcap hat ENA derzeit eine Marktkapitalisierung von mehr als zwei Milliarden Dollar bei einem Stückpreis von knapp 80 Dollar-Cent. Das wirkt viel zu viel für eine DAO, die einen Stablecoin im Umfang von knapp sechs Milliarden Dollar herausgibt. Doch tatsächlich sind bisher nur etwa drei der insgesamt 15 Milliarden Token, mit denen Coinmarketcap rechnet, auf dem Markt. Sie werden nach einem festen Schema an Entwickler, Investoren, eine Foundation und die „Ökosystem-Entwicklung“ ausgeschüttet.
Ethena ist im Idealfall so dezentral wie möglich. Allerdings gibt es an einer entscheidenden Stelle eine Lücke. In einer perfekten Welt würde Ethena die Optionen, mit denen es das Delta abbaut, auf dezentralen Märkten kaufen, und das Management also komplett an einen Smart Contract auslagern. Es gibt bereits mehrere Plattformen, auf denen man dezentral „short“ oder „long“ gehen kann, etwa gmx.io auf Arbitrum. Allerdings fehlt diesen derzeit die nötige Liquidität, um USDe weit genug zu skalieren.
Ethena ist damit also weiterhin auf zentralisierte Börsen angewiesen. Damit aber sollten die Risiken von Mittelsmännern, Zensur und Zentralisierung wiederkehren, was all die Bemühungen, die Ethena bisher in Kauf genommen hat, zunichte machen würde.
Die Institutionalisierung von Atomic Swaps
Die Lösung, die Ethena hier anbietet, nennt sich, sorry, „Off-Exchange Settlement“-Provider übertragen (OES). Dies ist ein relativ neues Konzept im Krypto-Handel. Es wurde vor allem entwickelt, um institutionellen Anlegern (wie Ethena) zu ermöglichen, „Krypto-Assets so zu handeln, als würde man eine Börse benutzen, ohne tatsächlich auf einer zu sein.“
In gewisser Weise zapft OES die Liquidität zentralisierter Börsen an und bringt sie in eher dezentralisierter Form zu anderen Akteuren. Grob gesagt verkauft ein Market-Maker Coins, die er auf einer Börse kauft, an seine Kunden, wobei das Settlemet auf einer Multisig-Wallet stattfindet. Wenn jemand etwa Bitcoins per OES gegen Ether tauschen will, beginnt er damit, dass er Bitcoins in seiner eigenen Wallet hat, sie an eine Multisig-Wallet sendet, wo sie erst dann, wenn die Ether auf der eigenen Wallet sind, vollständig an den Verkäufer übergehen. Man könnte sagen, OES ist die Institutionalisierung des Atomic Swaps, wie er etwa beim Handel von Bitcoin und Monero zum Zug kommt.
Dies war natürlich nur sehr vereinfacht beschrieben. Tatsächlich gibt es verschiedene Verfahren, bei denen unter Umständen auch eine Art Bankrott-Fonds im Spiel ist, der dem Benutzer der OES-Systeme die Sicherheit gewährt, im Falle einer Insolvenz voll entschädigt zu werden. Ethena nutzt mehrere Anbieter, etwa Copper, Fireblocks oder CEFFU, welche die Optionen auf verschiedenen zentralisierten und dezentralisierten Börsen kaufen, etwa Deribit, Kraken, Binnce, BitMEX und viele mehr.
OES schaltet aber nicht nur die Risiken durch Mittelsmänner – und damit den Zugriff der Zensur – aus. Es bündelt auch die Liquidität einer Vielzahl an Börsen. Dies senkt die Gebühren und erlaubt den Zugriff auf die günstigsten Gelegenheiten.
Woher die Zinsen für die USDe kommen
Nun kommen wir zum vielleicht wichtigsten Punkt: den Zinsen. Wie erwirtschaftet Ethena einen Ertrag, der den Besitzern der USDe zufließt?
Die Doku nennt drei Quellen der Einkünfte:
(1) Staking,
(2) eine „positive Funding Rate sowie die Basis Spread“ der Heding-Positionen und
(3) fixe Einnahmen durch liquide Stablecoins.
Während das Staking von Ethereum nachvollziehbar ist, aber mit derzeit 2,9 Prozent (laut Lido) weit unter den Zinsen der USDe bleibt, werfen die anderen Quellen breite Fragezeichen auf.
Die Funding-Rate entsteht beim Handel von Perpetual Contracts. Damit diese mit dem Börsenpreis konform gehen, muss es ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage, also zwischen „short“ und „long“ geben, welches, je nach Marktsituation, in positiven oder negativen Funding-Raten resultiert. Vereinfacht ausgedrückt: Wenn die Märkte bullisch sind, wollen viele Trader „long“ gehen, also auf steigende Kurse wetten. Dies führt zu einer Disbalance und derjenige, der „short“ geht – so wie Ethena – erhält einen Bonus. Positive Funding-Raten sind quasi negative Handelsgebühren.
Die Basis Spread dagegen entsteht, wenn man ein Future schließt. Dabei verkauft der Händler das Future und kauft im gleichen Moment das unterliegende Asset. Da beide separat gehandelt werden, können die Preise voneinander abweichen. Diese Abweichung nennt man den Basis Spread. Wenn Ethena ein Ethereum-Future für 3.200 Dollar verkauft, aber Ether auf der Börse für 3.150 Dollar gehandelt wird, hat es 50 Dollar verdient.
Schließlich hält Ethena liquide Stablecoins, für die es fixe Zinsen gibt: Für Dai-Dollar (sUSDS) bezahlt die Maker-DAO (Sky) feste Zinsen, für USDC Coinbase im Rahmen eines Loyalty-Programms.
Mit diesen Instrumenten kann Ethena je nach Marktsituation gute Zinsen erwirtschaften. Allerdings schwanken diese stark. Ende 2023 betrugen sie zwischenzeitlich über 40 Prozent, fielen dann im Lauf des August auf 0 Prozent (für Ethena selbst sogar ins Negative). Während der Rallye Ende 2024 kletterten sie auf mehr als 20, phasenweise sogar mehr als 80 Prozent. Aktuell beträgt die Zinsrate gut 10 Prozent.
Kurz gesagt: Im Bullenmarkt steigen die Zinsen stark, weil jeder long gehen will, doch im Bärenmarkt sacken sie auf Null ab, weil jeder shorten möchte. In Zeiten, in denen es profitabler wäre, in Bitcoin und Ether zu sein, entschädigt Ethena mit schönen Zinsen dafür, Dollar-Token zu halten, während man dann, wenn Kryptowährungen an Wert verlieren, immerhin ein stabiles, wenn auch nicht oder kaum verzinstes Token hält.
Die USDe können so gesehen ein sinnvolles Instrument im Portfolio sein. Doch Ethena selbst dürfte es schwer haben, einen langen und tiefen Bärenmarkt zu überleben, ohne den Usern negative Zinsen aufzuerlegen.
Die GmbH aus Frankfurt besegelt regulatorisches Neuland
Zuletzt kommen wir noch zur Regulierung. Darf Ethena das, was es macht, überhaupt? Und scheren sie sich darum?
Dies führt uns zur größten Überraschung des Artikels: Ethena agiert nicht aus einem Steuer- und Regulierungsparadies heraus, sondern aus — ihr werdet es nicht glauben — Frankfurt am Main. Die Ethena GmbH, eine Tochterfirma von Ethena Labs, habe, schreibt die Dokumentation, bei er Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (“BaFin”) eine Anmeldung eingereicht, um die „asset-referenced Token“ gemäß der MiCA-Regulierung öffentlich anzubieten. Die Anmeldung wurde vor der Deadline am 30. Juli 2024 eingereicht; man erwarte, zumindest vorläufig operieren zu dürfen.
Auf den ersten Blick wirkt die Erwartung, eine MiCAR-Lizenz zu erhalten, surreal. Doch genauer betrachtet ist sie nicht so weit hergeholt. Denn die USDe sind keine Stablecoins – für die Ethena unmöglich die notwendige E-Money-Token-Lizenz erhalten würde – sondern „vermögenswertreferenzierte Token“ (Asset-Referenced-Token, ART), deren Wert nicht an Fiatgeld hängt, sondern an anderen Wertgegenständen – etwa Bitcoin oder Ether oder zugehörige Optionen. Es wäre denkbar, dass die BaFIN dies akzeptiert, auch wenn ich nicht darauf wetten würde.
Damit betritt Ethena also nicht nur in finanztechnischer, sondern auch in regulatorischer Hinsicht bisher unerschlossenes Gebiet. Wir sind gespannt, wie das Projekt aus Frankfurt sich weiter machen wird.
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