Essay: Amerika bleibt first – selbst unter Trump
Die Politik von Donald Trump widerspricht allen Prinzipien, die Amerika so groß und stark gemacht haben. Doch das Land ist selbstbewusst genug, um daran nicht zugrunde zu gehen
Die Politik von Donald Trump widerspricht allen Prinzipien, die Amerika so groß und stark gemacht haben. Doch das Land ist selbstbewusst genug, um daran nicht zugrunde zu gehen
Es war früh am Morgen, als Dave Berghold die Löwenbabys erschoss. Die ersten Schüsse richteten nichts aus. Die Kugeln seien an der harten Schädeldecke der Raubkatzen einfach abgeprallt, erzählte mir der Amerikaner im Plauderton. Also holte er aus seiner Waffensammlung ein größeres Kaliber und erlegte damit die in der Trittfalle hilflos gefangenen Berglöwengeschwister.
Berghold ist kein Barbar, kein waffenvernarrter MAGA-Republikaner. Er ist Uhrmacher im hippen Städtchen Bozeman am Rande des Yellowstone-Nationalparks in Montana. Ein gebildeter, feinsinniger Mann, konservativer Demokrat, wie er selbst sagt. Mit der Lupe im Auge und Pinzette werkelt er in stiller Konzentration, um ein ruckelndes Chronometer zurück in den Takt zu bringen. Doch wenn es um die Verteidigung seines Heims geht, ruft der Akademiker nicht nach der Polizei. Die Löwen hatten auf einem ihrer ersten Jagdausflüge mit der Mutter die Schafe gerissen, die der Unternehmer auf seinem Grundstück am Stadtrand hielt. Also wehrte er sich.
Amerika ist ein Land voller Widersprüche und nicht immer leicht zu verstehen. Die Lebensumstände zwischen Metropolen, Kleinstädten und Hinterland klaffen meilenweit auseinander. Die politische Polarisierung ist riesig, die materielle auch. Ungezügelter Kapitalismus und überbordende Regulierung koexistieren mehr oder minder friedlich. Unternehmen können ihre Beschäftigten ohne Anlass von jetzt auf gleich rauswerfen, aber in New Jersey ist es illegal, an der Tankstelle den Zapfhahn selbst zu bedienen. In New Hampshire dürfen Autofahrer ohne Gurt fahren, doch als eine Bäckerei ihre Fassade von Kunststudenten mit Donuts bemalen ließ, schritten die Behörden wegen Verstoßes gegen Größenvorschriften ein.
Amerika ist hoffnungslos optimistisch
Vielleicht auch wegen dieser Unwägbarkeiten beweisen viele Amerikaner eine staunenswerte Bereitschaft und Fähigkeit, das Beste aus einer Situation zu machen. Sich zu arrangieren und Lösungen zu finden, wo es – scheinbar – keine gibt. In Milwaukee wollte die junge Start-up-Gründerin Danica Lause die Produktion ihrer Strickmützen aus China in die USA zurückholen. „Technisch unmöglich“, sagte man ihr. Sie schaffte es trotzdem – mit ungeheurem Durchhaltewillen. Von der Politik hat sie keine Hilfe erwartet oder bekommen. Der frühere Stahlmanager Bruce Haines erweckte in der ausblutenden Stahlstadt Bethlehem ein historisches Hotel zu neuem Leben. Berghold kam nach Montana, nachdem ihm sein Vermieter in Boston Knall auf Fall das Geschäft gekündigt hatte. Der Uhrmacher hörte, dass im 4 000 Kilometer entfernten Bozeman ein Juwelier seine Räume in bester Innenstadtlage günstig abgeben wollte. Also packte er die Gelegenheit beim Schopf.
Wer in Amerika scheitert, fängt neu an, oft nicht nur einmal – so habe ich es in den acht Jahren, die ich jetzt in den USA lebe und arbeite, oft erlebt. Wenn in der Hurrikan-Saison mal wieder ein Sturm irgendwo unfassbare Verwüstung angerichtet hat, stehen Menschen vor den Trümmern ihrer Häuser und versichern mit stoischer Entschlossenheit: „Wir bauen das wieder auf.“
Donald Trump ist der Tornado, der nun über die gesamte Volkswirtschaft hereinbricht.
Trump negiert alles, was den Aufstieg der Neuen Welt angetrieben hat: die Offenheit für Menschen, Handel, Ideen. Der Republikaner will Millionen irreguläre Einwanderer abschieben, und selbst Elitestudenten und Hochqualifizierte müssen Einschränkungen fürchten. „Amerika ist für Amerikaner da, und nur für Amerikaner“, sagt Trumps künftiger Vize-Stabschef Stephen Miller.
Selbst Fachkräfte stehen im Visier
Selbst Menschen wie Katherine Narvaez sind im Visier. Die 29-Jährige hat zwei Masterabschlüsse und hohe Ansprüche an sich selbst. Was sie nicht hat, ist ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in dem Land, in dem sie aufgewachsen ist. Narvaez kam als kleines Mädchen mit der Mutter aus Guatemala illegal über die Grenze. Der Weg zur Staatsbürgerschaft ist ihr verwehrt. Sie muss jeden Tag mit der latenten Angst vor Abschiebung leben.
Dabei braucht Amerikas Wirtschaft Immigranten mehr denn je, und zwar nicht nur die legalen. Fast ein Drittel aller Beschäftigten im Bau sind Latinos, viele haben keine Papiere. Die Erwerbsquote von Menschen, die außerhalb der USA geboren wurden, ist höher als die der Bio-Amerikaner. Wäre Steve Jobs’ Vater nicht aus Syrien in die USA gekommen, gäbe es das iPhone heute kaum.
Ein Zerstörungs-Programm
In den Wochen seit der Präsidentschaftswahl hat die Welt einen Vorgeschmack auf die nächsten vier Jahre bekommen. Mit Trump ziehen ins Weiße Haus ungehemmte Vetternwirtschaft und Korruption ein. Willkür und Chaos werden in Washington regieren. Das unwürdige Schauspiel im Kongress bei der Aufstellung des Haushaltes hat gezeigt, dass bei den Republikanern jeder nur auf eigene Rechnung handelt. Während das politische System sich selbst blockiert, gerät die Staatsverschuldung zunehmend außer Kontrolle. Es scheint, als wollten die USA eine Gebrauchsanleitung für ökonomische Destruktion abarbeiten.
Doch allen zerstörerischen Kräften zum Trotz – die attraktivste Wirtschaftsmacht der Welt wird Trump überstehen. Der Magnetismus der USA ist zu stark, um von ihm gebrochen zu werden. Als der Republikaner 2016 gewann, erwogen enttäuschte Liberale einen Umzug nach Kanada, das bessere Nordamerika. Einige Tausend gingen tatsächlich. Doch jedes Jahr bemühen sich Hundertausende aus aller Welt um ein Hochqualifizierten-Visum, die Bewerbungen übersteigen das Kontingent bei Weitem. Das war und wird unter Trump nicht anders sein.
Die Sogkraft wirkt auf Menschen wie auf Unternehmen. Schon bereiten sich deutsche Konzerne wie BMW darauf vor, gegebenenfalls ihre Produktion in den USA auszuweiten, um Strafzölle zu vermeiden. Trump droht und lockt. Er verknüpft Protektionismus mit Regulierungsabbau und Steuersenkungen. Wer in Amerika produziert, produziert für einen Markt mit 345 Millionen Menschen, deren Konsumgelübde in guten und schlechten Zeiten halten. Handelskriege kennen nur Verlierer, sagen Ökonomen. Das stimmt, aber der riesige US-Binnenmarkt kann Probleme leichter abwettern als kleine oder exportabhängige Volkswirtschaften wie Deutschland.
Amerika hat nach der Pandemie seine ökonomische Resilienz unter Beweis gestellt. Kein Industrieland hat den Covid-Schock so schnell überwunden. Stattdessen erlebte die US-Wirtschaft ein Produktivitätswunder. Seit 2019 ist die Arbeitsproduktivität etwa siebenmal so stark gestiegen wie in der Eurozone. Während Deutschland auf Kurzarbeit setzte, löste der Absturz in Amerika einen neuen Gründerboom aus. Manche Beobachter fürchteten, dass die Selbstständigkeit womöglich nur Arbeitslosigkeit kaschiert. Doch 2023 erreichte die Gründungswelle einen neuen Rekord.
USA wirtschaftlich meilenweit vorn
Der Anteil der USA am weltweiten Wagniskapital-Pool liegt bei rund 50 Prozent – das Zehnfache dessen, was Europa auf die Beine stellt. Der Draghi-Report zeichnet ein niederschmetterndes Bild der europäischen Wettbewerbsfähigkeit. In Europa wurde in den vergangenen 50 Jahren nicht ein einziges Unternehmen neu geschaffen, das es heute auf eine Marktkapitalisierung von über 100 Mrd. Euro bringt. Die USA haben sechs Start-ups mit einem Börsenwert von jeweils mehr als einer Billion Euro. Und auch die Weichen für die Zukunft sind gestellt: Nur sechs der 20 wertvollsten Klimatech-Unicorns kamen 2024 nicht aus den USA oder China. Bei künstlicher Intelligenz sehen die Rankings ähnlich aus.
Innovation und Risikobereitschaft sind zwei Seiten einer Medaille. Menschen wie Berghold, Lause oder Haines sind im Öko(-nomie)-System der USA nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Der deutsche Entrepreneur Justus Lauten, Gründer des Kölner Start-ups Food Forecast, rät davon ab, ein Start-up in seiner Heimat zu gründen. Die Wagniskapitalgeber seien hier „sehr risikoavers“, sagte er der „Financial Times“.
14-01-25 C+ Trump-Drohung: Wie werden Zölle erhoben?
Natürlich hat die Bereitschaft der Amerikaner zu scheitern ihren Preis: Für die Unternehmer und ihre Geldgeber sowieso, aber auch für Kunden, Lieferanten, Beschäftigte. Und für die Gesellschaft insgesamt. Die Lebenserwartung ist niedriger als in Albanien. Der Investmentexperte Ed Yardeni aber hält den „unternehmerischen Kapitalismus“ der Amerikaner für ausschlaggebend dafür, dass die USA im internationalen Vergleich brillieren. Die Dominanz ist überwältigend: Die USA kommen auf 26 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts, 31 Prozent des Vermögens der Haushalte und 61 der 100 wertvollsten Unternehmen.
Zum Erfolgsrezept gehören Mut zum Wagnis, Flexibilität – und eine ordentliche Portion Opportunismus. So schnell wie US-Unternehmen im Mainstream der vergangenen Jahre das Credo von Nachhaltigkeit und Diversität übernahmen, so schnell lassen sie es nun wieder fallen. Die Tech-Bosse küssen dem Patriarchen aus Mar-a-Lago den Ring, aber verlieren die eigene Agenda nicht aus den Augen. Während Trumps „First Buddy“ Elon Musk und Vivek Ramaswamy im Wahlkampf das MAGA-Lied schmetterten, argumentieren sie nun nach dem Wahlsieg für mehr Inder im Land.
Statt Ordnungspolitik herrscht Pragmatismus. Berghold hat seinen Showroom in Bozemans Flaniermeile mittlerweile an ein Kleidungsgeschäft vermietet und ist in den ersten Stock gezogen. An der Miete in der boomenden Stadt verdient er mehr als am eigenen Handwerk. Er beklagt sich nicht darüber.
Die Politik des neuen Präsidenten werde den technologischen Exzeptionalismus der USA „trüben“, sagt der den Demokraten nahestehende Ökonom Mark Zandi: „Aber Trump wird ihn nicht unterminieren.“
Amerika bleibt first. Selbst unter Trump.
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